Eine Art Verblendung

Die Geschichte des Antiamerikanismus in Deutschland  ■ Von Reed Stillwater

Daß die deutsche Begeisterung für die militärischen Leistungen Israels nur die Umkehrung des Antisemitismus ist, darauf hat Erich Fried in seiner Analyse der Berichterstattung zum Sieben-Tage- Krieg aufmerksam gemacht. Daß der Antiamerikanismus die neue Form des Antisemitismus sei, das wiederum behauptete André Glucksman angesichts der Debatte über das amerikanische Eingreifen am Golf. Und daß Antisemitismus und Antiamerikanismus wesensverwandte, wenn auch nicht identische antiaufklärerische Affekte sind, dies wiederum ist die These Dan Diners in seinem Buch über die Geschichte des deutschen Antiamerikanismus.

„Amerika steht für ein Volk, das Hunderttausende Indianer hinmordete, um Platz für sich selbst zu schaffen, das den anderen Staaten mit Lug und Trug, Gewalt und Krieg ihren Besitz raubte, das Länder besetzte und Völker unterjochte, um sie ins Elend zu stürzen und ihre Arbeitskraft auszubeuten, das alle Versprechen und Verträge brach, die der Ausdehnung seiner Macht und seinem Belieben im Weg standen.“ Hand aufs Herz! Das könnte doch einer der unzähligen Verlautbarungen zum Kolum- busjahr, einem Flugblatt zum Golf- oder Vietnamkrieg, einer Rede gegen Amerikas Intervention in Mittelamerika oder zum Somalia-Einsatz entstammen.

Selbst der nächste Satz könnte noch als linke Agitation durchgehen, würde man den aufblitzenden Pferdefuß durch einen anderen Begriff, etwa das Wort „weißer Mann“ oder „Patriarchat“ ersetzen: „Es ist das Antlitz des militaristischen Angelsachsen, der davon überzeugt ist, daß Gott ihm die Herrschaft dieser Erde vorbehalten hat, und darum ungestraft tun und lassen kann, was er will! Wie der Krake der Tiefsee, so streckt dieses Land seine Arme nach allen Seiten, heftet sie auf Inseln, Völker, Länder und erstickt sie in seinen Umarmungen.“ Und nun die Demaskierung: „Hinter dem Kraken aber erscheint bereits die Fratze des ewigen Juden, der auch in ihm nichts anderes sieht als den Wegbereiter seiner uralten und nie aufgegebenen Weltherrschaftspläne.“ Diese Charakterisierung Amerikas stammt aus einer nationalsozialistischen Propagandaschrift. Der erste Text findet sich in einer Rede der kommunistischen Reichstagsabgeordneten Clara Zetkin vom 7.3.1923. Die Nationalsozialisten haben den Antiamerikanismus ebensowenig erfunden wie den Antisemitismus, beides fanden sie vor, beides hat sie überlebt.

Eine systematische Betrachtung des Antiamerikanismus war überfällig. Verhindert wurde dies bisher durch den Gebrauch des Begriffs in der politischen Diskussion. Proamerikanismus und Antikommunismus ergänzten sich zu einer konservativen Ideologie, hinter deren Bekämpfung das ideologische Antlitz des Antiamerikanismus selbst verschwinden konnte. Die Studie Dan Diners beschäftigt sich mit der „negativen Grundstimmung“ gegenüber Amerika, „die vornehmlich in Krisen und epochalen Brüchen deutscher Geschichte Oberhand gewinnt“.

Antiamerikanismus ist zunächst ein europäisches Phänomen. Die Entdeckung Amerikas markiert einen tiefen Einschnitt in dessen Geschichte und galt als das bedeutendste Ereignis seit der Erschaffung der Welt, schreibt der spanische Historiker Francisco Lopez de Gomara 1552. Immer war die europäische Reflexion dieses epochalen Ereignisses ambivalent. Die Bewertung reicht von hymnischer Lobpreisung bis zu abgrundtiefer Verdammung, von der Beschwörung Amerikas als „Hoffnung des Menschengeschlechts“ (Turgot 1778) bis zur Feststellung, die Eroberung und Besiedlung der Neuen Welt sei „das größte Unglück“ (Cornelius de Pauw 1768).

Was den USA, die das „Stigma Amerikas“ übernommen haben, angelastet wird, ist jener Prozeß der Zivilisation selber, der im Aufstieg Amerikas Europa entgegentritt. Waren mit der Neuen Welt Arkadien und Eden (wieder)entdeckt worden, so kam ihre Durchdringung durch den Auswurf Europas der erneuten Zerstörung des Paradieses gleich. Welche verqueren Kapriolen europäisches Bewußtsein in der Auseinandersetzung mit Amerika schlagen kann, zeigte, so schreibt Diner, der Diskurs zum Kolumbusjahr: „Als sei mit der Entdeckung und Besiedlung Amerikas das Urverbrechen der Menschheit begangen worden, (...) ein universeller Sündenfall der Weltgeschichte, eine Art Gründungsakt des Bösen (...), als habe jener inkriminierte Akt der Entdeckung recht eigentlich vom nördlichen Halbkontinent und nicht von der iberischen Halbinsel Europas seinen Ausgang genommen.“ In Amerika tritt dem verblendeten Europa seine eigene entfremdete Gestalt gegenüber, ja, die Gestalt gewordene Entfremdung der Moderne selbst.

Von jeher hatten die Deutschen ein besonderes Verhältnis zu Amerika. Die Deutschen waren eine zurückgebliebene Nation, und darin wurzelt ihr Verhältnis zu Amerika. Wer nicht seine Hoffnung als Auswanderer setzen wollte oder konnte, der haßte alles, wofür Amerika stand, vor allem dessen Modernität. Strukturell wurzeln deutscher Antiamerikanismus und deutscher Antisemitismus beide in deutscher Unterentwicklung. Beide Ressentiments bedienen sich der Metaphern aus der Zirkulationssphäre und setzen „deutschen Geist“ gegen schnöden Materialismus, „deutschen Tiefsinn“ gegen amerikanische Flachheit. Noch heute wabern durch den antiamerikanischen Diskurs Denkfiguren, die in der Romantik angelegt sind, wozu die sprichwörtliche amerikanische Oberflächlichkeit gehört.

Nach dem Ersten Weltkrieg verbanden sich die Schande der Niederlage mit dem Leiden an den Wirtschaftskrisen zu einer explosiven Mischung. Kapitalismuskritik verschmolz mit Antiamerikanismus, die Furcht vor dem Heraufziehen eines Weltmarktes und eines neuen Zeitalters der Weltwirtschaft bediente sich der Metapher der amerikanischen Weltherrschaft. Bevorzugte Haßfigur des damaligen Antiamerikanismus war Präsident Woodrow Wilson. Er stand mit seinen 14 Punkten und der Idee des Völkerbundes für die Globalisierung der Politik und für die „Neue Weltordnung“. Die heutigen deutschen Polemiken gegen die Idee einer Weltinnenpolitik sind ein später Reflex eben dieses Ressentiments.

Reichen die Wurzeln des Antiamerikanismus tief in die deutsche Geschichte hinab, so treibt dieses Phänomen noch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Blüten. Dan Diner spürt antiamerikanische Figuren in der antiimperialistischen und Friedensbewegung auf und findet ihre Manifestationen in den Argumenten gegen den Golfkrieg. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der legitimen Kritik an der Außenpolitik der USA und den Affekten, die sie freisetzt. In der in den späten 60er Jahren populären Figur „USA–SA–SS“ jedoch erteilte die Linke der deutschen Geschichte eine Absolution und projizierte deren Verbrechen auf die USA. Das selbe leistet Horst-Eberhard Richters Feststellung, die Deutschen hätten ihre Überidentifikation mit Hitler und dem Nationalsozialismus nur ausgewechselt: An deren Stelle sei Amerika getreten und eine „bis ins Unbewußte hinabreichende psychische Amerikanisierung, die weite Teile unserer Gesellschaft kennzeichnet“.

Antiamerikanismus nährt sich von der Kritik an Amerika, geht über sie aber ebenso hinaus, wie er ihr vorausgeht. Antiamerikanismus ist ein System zur Organisation von Haß- und Ohnmachtsgefühlen. Das hat Antiamerikanismus mit dem Antisemitismus gemein. Antiamerikanismus ist eine Form der Verblendung, die in der Abwendung von der Geschichte ihre Ursache hat. Anders als die mit ihm verwandten Ideologien stellt er jedoch für das Objekt seines Hasses keine Bedrohung dar. Amerika ist Fluchtpunkt der Welt, und deshalb hat alle Welt letztlich ein Interesse an dessen Wohlergehen. Die Welt verhält sich zu Amerika wie die Diaspora zu Israel.

Dan Diner: „Verkehrte Welt: Deutscher Antiamerikanismus – die Geschichte eines Ressentiments“. Eichborn-Verlag, Frankfurt/M. 1993, 187 Seiten, 36 DM