Freier Handel für Giftmischer

Geplante EG-Richtlinie über die Zulassung von Schädlingsbekämpfungsmitteln würde strengere nationale Regelungen aushebeln  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Eine Reihe von Holzschutzmitteln, Desinfektionssprays und Insektenpulver, die in Deutschland wegen ihrer Giftigkeit verboten sind, könnten bald wieder in den Regalen stehen. Wenn die von der EG-Kommission geplante Biozid- Richtlinie tatsächlich in Kraft tritt, dann ist das deutsche Chemikaliengesetz nicht mehr viel wert.

Oberste Priorität hat wieder einmal der freie Handel: Alle Giftmischer in Europa sollen gleiche Wettbewerbschancen haben. Zwar räumt auch der Richtlinienentwurf der EG-Kommission die „Gefahren für Mensch und Umwelt“ ein, die durch die Herstellung und Anwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln entstehen können. Aber Umwelt- und Gesundheitsschutz interessieren die Kommissare als Zulassungskriterium nicht. Bei ihrem Richtlinienvorschlag stützen sie sich konsequenterweise nicht auf den Umweltartikel des EWG-Vertrages, sondern auf die Wettbewerbsklausel. Nach dem Umweltrecht wäre jedem Land erlaubt, bei der Zulassung von Bioziden im eigenen Land strengere Maßstäbe anzulegen. Die Wettbewerbsklausel dagegen schreibt vor, daß kein Land die Zulassung verweigern kann, wenn das fragliche Produkt in einem anderen EG-Land schon erlaubt ist.

Nicht nur die Grünen im Europaparlament befürchten, daß diese umweltfeindliche Auslegung der EG-Verträge der „erste große Schritt zu einem umweltpolitischen Rollback in der ganzen Gemeinschaft“ sein könnte, so die Europaparlamentarierin Hiltrud Breyer. Auch der Bundesverband der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) kritisiert den Brüsseler Entwurf als Rückschritt und fürchtet zunehmende Schwierigkeiten bei der Bereitstellung unverseuchten Trinkwassers.

Die von der EG vorgesehenen Kriterien für die Zulassung von Biozid-Produkten lassen nicht nur viele Fragen offen. Allen Ernstes will die EG Biogifte auch dann zur Vermarktung freigeben, wenn der Hersteller den Antrag bei der zuständigen Behörde nur zur Hälfte ausfüllt. Wenn er angibt, daß bestimmte Analyseverfahren zum Nachweis des Biozids oder seiner Rückstände etwa in der Erde oder im Wasser „technisch nicht machbar“ seien, dann kann die nationale Behörde eines Mitgliedsstaates trotzdem den Zulassungsstempel geben. Und der gilt dann auch noch für den gesamten EG-Raum.

Wenn es um die Aushebelung der nationalen Bestimmungen geht, beruft sich die Kommission darauf, daß in Fragen des Wettbewerbs „ausschließlich die Gemeinschaft zuständig“ sei. Bei der Zulassung der einzelnen Giftprodukte verweist sie dagegen ausdrücklich auf das Prinzip der Subsidiarität: Jedes Mitgliedsland soll selbst entscheiden, wie die EG- Richtlinie im Einzelfall anzuwenden ist.

Selbst unvollständige Antragsunterlagen müssen nach Ansicht der Kommission kein Genehmigungshindernis sein, wenn die nationalen Stellen die vorgelegten Papiere für ausreichend halten. Dazu kommen noch zahlreiche Ausnahme- und Übergangsregelungen, die den Zulassungsbehörden erlauben, so ziemlich jedem Produkt der heimischen Chemieindustrie den europäischen Markt zu eröffnen. Der Entwurf, der deutlich die Handschrift der Chemie-Lobby trägt, bezieht sich zudem ausdrücklich nur auf die Vermarktung von Bioziden in der Europäischen Gemeinschaft. Produkte, die für den Export etwa in die Dritte Welt bestimmt sind, sind von den Zulassungskriterien gänzlich befreit. Für die Verpackung und Kennzeichnung von Bioziden sieht der Entwurf nur ein paar lockere Vorschriften vor, für den sicheren Transport der gefährlichen Stoffe fehlen sie vollständig.

Die Grünen fordern nicht nur zahlreiche Nachbesserungen der Richtlinie. Um sie vom Kopf auf die Füße zu stellen, müsse sie unter umweltgerechten und nicht unter wettbewerbsfördernden Gesichtspunkten formuliert werden. Es dürfe keinem Mitgliedsstaat verwehrt werden, strengere Zulassungskriterien anzuwenden, als die EG-Richtlinie vorsieht. Bereits bestehende Umwelt- und Gesundheitsgesetze in den einzelnen Ländern seien das Ergebnis eines gesellschaftlichen Diskussionsprozesses.

Das dänische oder auch das deutsche Chemikaliengesetz sind unter dem Druck der Öffentlichkeit schärfer ausgefallen, als sich die Chemieindustrie das gewünscht hätte. Das soll, wenn es nach den Grünen ginge, nicht unter dem Deckmantel der Harmonisierung zurückgedreht werden.