„Irische Verhält- nisse vermeiden“

Am Tag danach ist Bonn sich einig: Verbietet die Kurdische Arbeiterpartei! Ihren Anhängern werden die europaweiten Anschläge und der Mord an einem Türken angelastet. Doch was ein PKK-Verbot bringen kann, weiß niemand so recht.

Nachdem die ersten Scherben zusammengekehrt waren, hallte gestern der Ruf nach einem Verbot der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) durch die Republik. Bundeskanzler Kohl erwägt es, weil er den „Mißbrauch der Gastfreundschaft“ durch Kurden nicht dulden will. Bundesinnenminister Kanther denkt darüber nach, um „Ersatzkriege“ auf deutschem Boden zu unterbinden. Außenminister Kinkel will es als einziges Mitglied der Bonner Regierung schon lange – und bringt es regelmäßig nach Treffen mit türkischen Regierungsmitgliedern in die Diskussion. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Hans Gottfried Bernrath, möchte das Verbot, um „irische Verhältnisse“ zu vermeiden, und Berlins Regierender Diepgen will verhindern, daß die Bundesrepublik zum „Tummelplatz für ausländische Extremisten und Terrroristen wird“.

Unterdessen machten sich Polizei und Generalbundesanwaltschaft an die Fahndung nach den Verantwortlichen für die Anschläge auf türkische Einrichtungen, bei denen am Donnerstag ein Mensch ums Leben kam und mehrere verletzt wurden. Sie durchsuchten gestern mindestens 29 kurdische Zentren und nahmen mehrere Personen fest.

Was ein PKK-Verbot bringen könnte, wissen die Bonner Politiker nicht genau. Bundesinnenminister Kanther kündigte vorsichtshalber gleich an, daß davon keine Wunder zu erwarten seien. Kohl dämpfte die Verbotsforderung außerdem mit dem Hinweis, daß das Bonner Vorgehen mit den Nachbarländern abgestimmt werden müßte. In Großbritannien, Dänemark, der Schweiz und Österreich, wo ebenfalls Attentate auf türkische Einrichtungen stattgefunden haben, bestand gestern jedoch wenig Neigung zu einem PKK-Verbot.

Ohnehin ist nur schwer auszumachen, welche Organisation in Deutschland mit „PKK“ gemeint sein könnte. Ein Sprecher des „Kurdistan Komitees“ in Brüssel, das gewöhnlich die Strategie und Taktik der PKK in Kurdistan erläutert, sagte gestern zur taz: „Nach unserem Wissen gibt es in Europa keine PKK.“ Die Partei existiert nur in Kurdistan. Die Bonner Diskussion handele deshalb vom Verbot einer nicht existierenden Partei.

Tatsächlich ist die PKK in Deutschland die unbestritten zugkräftigste aller Organisationen unter den 400.000 bis 600.000 kurdischen ImmigrantInnen. Das erkennt auch die konkurrierende „Föderation kurdischer Arbeitervereine“ (Komkar) an, die zweite große kurdische Organisation in der deutschen Diaspora. Die PKK ist in der Lage, binnen weniger Tage bis zu 50.000 Menschen zu Demonstrationen zu mobilisieren. Am letzten Wochenende hat sie ihre Stärke wieder mit einer Großdemonstration in Köln gegen den türkischen Militäreinsatz in der Stadt Lice bewiesen. Doch die PKK tritt in Deutschland nicht unter ihrem Parteinamen in Erscheinung. Sie unterhält ein dichtes Netz von Arbeitervereinen, Sportvereinen und Kulturvereinen in den Zentren kurdischer Immigration. Diese Vereine funktionieren mit Satzungen, die sie als völlig unabhängig ausweisen. „Wir haben nichts mit der PKK zu tun“, versicherte gestern ein Mitarbeiter von „Feyka-Kurdistan“, die gewöhnlich die politischen Forderungen der PKK vertreten, der taz. Einen Kommentar zu den Anschlägen, von denen er „zufällig“ im Fernsehen gehört habe, wollte er nicht abgeben.

Um ein PKK-Verbot in Deutschland durchzusetzen, müßte jeder einzelne Verein überprüft werden. Es wird erwartet, daß pro Vereinsverbot mindestens ein neuer Verein entstehen würde. Wie angesichts dieser Vielfalt ein PKK-Verbot durchgesetzt werden sollte, ist offenbar auch den Bonner Politikern ein Rätsel. Zumal deutsche Sicherheitsexperten davor warnen, daß die PKK-Mitglieder bei einem Verbot ihrer Organisation schlicht abtauchen würden und gar nicht mehr kontrollierbar wären.

Für die Mitarbeiter von Migrantenorganisationen sprechen auch politische Argumente gegen ein PKK-Verbot. So verurteilt Mustafa Kisabacak von Komkar in Köln zwar die Anschläge. Doch er hält sie für eine logische Folge der Situation in Kurdistan. Ein Verbot der PKK würde an den Problemen der Kurden nichts ändern. Statt dessen solle Bonn, so Kisabacak, die türkische Regierung unter Druck setzen, damit die endlich den Dialog mit Vertretern der Kurden aufnehme. Gesprächspartner könnten die kurdischen ParlamentarierInnen in Ankara sein. Dorothea Hahn