Spitzenkandidaten badeten im Beifall

■ Wahl '94: CDU und SPD verabschiedeten ihre Programme/ Schwerpunkt: Wirtschaft

Königslutter/Hannover Der starke Beifall tat den beiden Hauptkontrahenten vier Monate vor der Landtagswahl in Niedersachsen sichtlich gut. Zeitgleich traten der Sozialdemokrat und der Christdemokrat auf Parteitagen an. Ministerpräsident Gerhard Schröder und Christian Wulff, sein Herausforderer, genossen an diesem trüben November-Sonnabend den Applaus ihrer ParteifreundInnen.

Schröder kann Balsam nach bundespolitischen Blessuren brauchen: Auf die Niederlage um den SPD-Vorsitz im Juni folgte jetzt das Scheitern beim Energiekonsens. Auch Wulff, vor einem Jahr vom Osnabrücker Nachwuchspolitiker an die Spitze der Niedersachsen-CDU katapultiert, braucht Auftrieb aus den eigenen Reihen. Mit einem Volksbegehren zu der bei CDU wie SPD umstrittenen Direktwahl von BürgermeisterInnen soll er Durchsetzungsfähigkeit zeigen.

Die GenossInnen kürten ihren Ministerpräsidenten mit 96,5 Prozent der Stimmen zur Nummer eins der Landesliste. Aufatmen bei Schröder, der sich zuvor vor allem als Wirtschaftsund Arbeitsmarktpolitiker präsentiert hatte. Passend dazu die Plakate der angereisten Dasa-Beschäftigten aus Lemwerder: „Bei Wahlen kämpfen wir für Dich, Gerhard, laß uns nicht im Stich.“

Der 49jährige scheint in seiner Landespartei derzeit nahezu unangefochten zu sein. Kritik etwa an der besonders von den Gewerkschaften kritisierten Mehrarbeit für LehrerInnen wurde nicht laut. Eher leidenschaftslos verlief die Programmdebatte. Unsichtbar trägt das SPD-Programm ohnehin den Titel „Gerhard Schröder“. Den Namen seines Kontrahenten nahm Schröder nicht einmal in den Mund, den des grünen Koalitionspartners im übrigen ebensowenig.

Beide Parteien verabschiedeten ihr Regierungsprogramm mit dem Schwerpunkt bei wirtschaftspolitischen Themen. Die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Wirtschaftsförderung sei Hauptaufgabe der Landespolitik, sagte Schröder. Für das bedrohte Werk der Deutschen Aerospace (Dasa) in Lemwerder bot er erstmals auch eine direkte Landesbeteiligung an. Schröder stellte sich auch hinter die bei VW geplante Vier-Tage-Woche und forderte staatliche Unterstützung für solche Arbeitszeitmodelle, wenn Arbeitsplätze erhalten werden.

Eine Autostunde entfernt rieb sich Christian Wulff dagegen regelrecht am Regierungschef. Gut die Hälfte seiner Rede widmete er Schröder. Gespannt bis angespannt verfolgte vor allem das Parteitagspräsidium die Rede ihres Hoffnungsträgers, der immer wieder als zu leise und blaß kritisiert wird. Am Ende, nach gut einminütigem Beifall, machte sich Erleichterung breit.

Wulff wollte vor allem das Image des Wirtschaftspolitikers Schröder ankratzen. Er stellte Schröder als „Populist“ und „Heuchler“ hin: Schröder habe in Lemwerder Hilfen angekündigt, zugleich aber verschwiegen, daß Rot-Grün alles tue, um Militär und wehrtechnische Forschung aus Niedersachsen hinauszudrängen. Mit seinem nicht ganz unumstrittenen Volksbegehren zur Bürgermeister-Wahl ging Wulff bewußt das Risiko ein, manchen in der Parteibasis „das falsche Thema zur falschen Zeit“ aufzudrücken, wie ein CDU-Kommunalpolitiker formulierte. Doch Wulff konnte sich damit nach kurzer kontroverser Debatte durchsetzen. Für die CDU-Strategen um Wulff fällt dieses Vorhaben indessen unter die Rubrik „Erneuerung und Bürgernähe zeigen“. Wulff kündigte an, die von Rot-Grün beschlossene Mehrarbeit für LehrerInnen wieder zurückzunehmen und die Unterrichtsversorgung anders zu sichern. Die CDU will früher als die SPD, nämlich schon ab 1996, den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für Dreijährige sicherstellen. Hans-Edzard Busemann

und Andreas Möser/dpa