■ Stadtmitte
: Unsozialer sozialer Wohnungsbau

Der Lokalchef der taz rief an: „Da müßt Ihr mal eine zündende Philippika gegen Nagels Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus schreiben. Das ist doch ein dicker Hund, den Sozial-Bau für Besserverdienende zu öffnen. Die CDU und FDP sind Feuer und Flamme, das kann doch wohl nicht wahr sein.“

Was brachte den routinierten Lokalredakteur in solche soziale Aufwallung? Bausenator Nagel hatte angekündigt, den sozialen Wohnungsbau für höhere Einkommensschichten zu öffnen.

Der klassische soziale Wohnungsbau (1. Förderweg) ist nur bestimmten Einkommensschichten vorbehalten, weil immense öffentliche Mittel in den Bau dieser Wohnungen hineinfließen. Die Einkommensgrenzen sind zum letzten Mal vor über zehn Jahren entsprechend der Einkommensentwicklung festgesetzt worden. Sie betragen im Westteil der Stadt derzeit 25.920 Mark für eine alleinstehende Person und 38.160 Mark für ein Ehepaar. Dies ist nicht etwa das Nettoeinkommen, sondern das um einige Abschläge reduzierte Bruttoeinkommen.

Der Auftrag des Wohnungsbaugesetzes an Bund, Länder und Gemeinden lautet, Wohnungsbau für die breiten Schichten der Bevölkerung zu betreiben. Derzeit sind nur noch ein Drittel aller Haushalte berechtigt, eine Sozialwohnung zu beziehen. Dies wird von Wohnungspolitikern als ein Verstoß gegen diesen Auftrag bezeichnet. Es gibt daher politische Betrebungen und auch entsprechende Gesetzesinitiativen, die Einkommensgrenzen drastisch zu erhöhen, damit auch wieder ein normaler Facharbeiter bezugsberechtigt ist.

Die Absicht des Bausenators ist als ein Vor-Wahlgeschenk an die angestammte SPD-Klientel zu begreifen. Die frühere klassische sozialdemokratische Wählerschicht kommt nicht mehr in den Genuß sozialdemokratischer Wohnungspolitik. Deshalb macht Nagel es sich in gekonnter Manier leicht, dieser Wählerschicht entgegenzukommen. Sollen doch diejenigen, die so wenig verdienen, daß sie existentiell auf diese Wohnungen angewiesen sind, in Konkurrenz mit den Besserverdienenden treten. Das ist dann nicht mehr das Problem des Bausenators, sondern bestenfalls der Sozialsenatorin. Mag diese sich doch mit dem „Geschützten Marktsegment“ oder sonstigen sozialtherapeutischen Instrumentarien herumschlagen.

In diesen Zusammenhang paßt die jüngste Ankündigung, den 1. Förderungsweg von 7.000 Wohnungen pro Jahr auf 5.000 zu reduzieren. Damit wird die Konkurrenz unter den Wohnungssuchenden noch größer, und immer mehr werden auf der Strecke bleiben.

Der klassische soziale Wohnungsbau ist reformbedürftig. Es geht nicht mehr an, dieses kostentreibende Instrument, was in seiner Ineffektivität kaum zu überbieten ist, weiter unverändert zu belassen. Es bedarf einer grundlegenden Reform. Aber durch die Öffnung für die Bezieher höherer Einkommen wird nichts verändert.

Die Förderung ist vielmehr flexibel und abgestuft auf die Einkommenssituation der jeweiligen Mieter abzustellen. Hohe Förderung und niedrige Einstiegsmieten gekoppelt mit langfristigen Bindungen müssen den Grundbedarf des unteren Einkommensdrittels dauerhaft sichern. Geringere Förderung und höhere, aber zumutbare Einstiegsmieten müssen für das mittlere Einkommensdrittel gewährt werden, um auch diesen Haushalten den Bezug einer Neubauwohnung zu ermöglichen. Der sogenannte 2. Förderungsweg, der in Berlin neu aufgelegt worden ist, kommt dem schon entgegen, ist aber mit Mieten um die zwanzig Mark pro Quadratmeter auch kein Programm für den Durchschnittsverdiener.

Also: Keinen Vorwahlkampf auf den Rücken der Bedürftigsten, sondern solide, treffsichere Wohnungsbau-Förderungspolitik, Herr Senator. Hartmann Vetter

Berliner Mieterverein e.V.