Jüdische Gemeinde verweigert Trauer

■ Neue Wache: Gemeindevorsitzender Kanal nimmt nicht an Festakt teil / Repräsentanten verurteilen Kohl-Inschrift

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Jerzy Kanal, wird am nächsten Sonntag nicht an der feierlichen Umwidmung der Neuen Wache zur Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik teilnehmen. Er schlägt damit die persönliche Einladung der Bundesregierung aus. Jerzy Kanals Entscheidung billigte auf ihrer letzten Sitzung auch das oberste Organ der Jüdischen Gemeinde, die Repräsentantenversammlung. Nachdem ihre 21 Mitglieder sich ausgiebig mit der von Bundeskanzler Kohl beschlossenen Inschrift „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ und mit der die einzelnen Opfergruppen nennenden Ergänzungstafel an der Außenwand der Neuen Wache beschäftigt hatten, verabschiedete die Repräsentantenversammlung eine Resolution. Und zwar – was bei diesem polarisierten Gremium höchst selten vorkommt – einstimmig.

In der Erklärung heißt es: „Für unser Empfinden ist es undenkbar, den Opfern, die durch den NS-Unrechtsstaat und seiner grausamen Todesmaschinerie ermordet wurden – nur weil sie Juden waren – in einem Atemzug mit Opfern der Weltkriege zu gedenken, von denen ein Teil diese Maschinerie bediente.“ Die Resolution ist eine klare Absage an die Bundesregierung, die mit einer differenzierenden Ergänzungstafel versucht hatte, die Juden Deutschlands mit der zentralen und nationalen Gedenkstätte zu versöhnen. Zwar wird Ignatz Bubis, als oberster Repräsentant der Juden in Deutschland, Helmut Kohl beim Kranzabwerfen begleiten, aber, so entschuldigte Jerzy Kanal den Vorsitzenden des Zentralrats, er tue dies „ohne Freudensprünge“. Moische Waks, Sprecher der Demokratischen Liste in der Repräsentantenversammlung, ergänzte gegenüber der taz, daß die in letzter Sekunde montierte Ergänzungstafel mit den Auszügen aus einer Rede von Richard von Weizsäcker, die „Peinlichkeit insgesamt nur verschlimmere“. „Wenn das deutsche Volk eine Gesamtgedenkstätte will, ist das ihr Problem und nicht unseres“, sagte er. Die gesamte Gemeinde hoffe, daß bald in den ehemaligen Ministergärten das Denkmal für die ermordeten Juden Europas aufgestellt wird.

Persiflierte Einweihung

Mit einer stark ironischen militaristischen Performance weihte gestern nachmittag die Fraktion Bündnis 90/Grüne das „Bundesehrenmal“ Neue Wache ein. Je zwei Reichswehrsoldaten, Waffen- SSler, NVA-Soldaten und Bundeswehroffiziere marschierten dicht neben dem historischen Bauwerk nacheinander zur passenden Musik auf (Preußens Gloria, Wehrmachtschöre, Loblied auf die Partei, Einigkeit und Recht und Freiheit) und gedachten in schweigender Trauer „den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“. An die zahlreich herumstehenden Zivilisten wurden – damit Nostalgiegefühle nicht aufkommen – Flugblätter mit dem Titel „Erst überlegen, dann Gedenken“ verteilt. aku

Siehe auch Beitrag Seite 23