Schlacht um die Kosten

Automobilhersteller und Zulieferer auf neuen Wegen / Gruppenarbeit und schlanke Produktion als Medizin gegen die Krise  ■ Aus Bochum Walter Jakobs

Nichts bleibt in der deutschen Autoindustrie so, wie es ist. Gravierende Neuerungen stehen Herstellern, Zulieferern, Händlern und deren rund 1,7 Millionen Beschäftigten ins Haus. Eine ganze Branche ordnet sich neu. Dies ergab ein von der Düsseldorfer Landesregierung initiierter Kongreß zur Zukunft des Automobilstandortes Deutschland am vergangenen Donnerstag in Bochum. Dabei wird es vor allem in der deutschen Zulieferindustrie, die 40 Prozent des europäischen Marktes bedient, nach den Worten von Wolfgang Peter aus dem Vorstand der Mannesmann AG zu „einem dramatischen Konzentrationsprozeß“ kommen. Überleben könne die Branche nur, wenn die „Schlacht um die Kosten gewonnen wird“.

Die neue Kostenbetrachtung stellt sich für die Automobilbauer wie Eckhard Jokisch, stellvertretender Einkaufschef von Ford-Europa, so dar: Die bisherige Formel, wonach der Endpreis sich aus Kosten plus Gewinn errechnete, sei vorbei. Jetzt gelte die Gleichung: „Am Markt durchsetzbarer Preis minus notwendiger Gewinn ergibt die Kosten.“ Für den Druck auf die Kosten sind die Automobilbauer in Europa selbst verantwortlich. Alle, so Jokisch, „haben auf Wachstum gesetzt“ und dadurch „erdrückende Überkapazitäten“ geschaffen. Europaweit liegt inzwischen eine Jahresproduktionskapazität von 3 Millionen Fahrzeugen brach – und neue Fertigungsstätten kommen hinzu.

Die japanischen Automobilbauer, die 1992 bereits 374.000 Fahrzeuge in ihren europäischen Fertigungsstätten produzierten, werden nach Einschätzung von Opel-Vorstand Peter Enderle in zwei Jahren schon 900.000 Autos in Europa herstellen können. Ihr Marktanteil, der in Europa bei 10,7 Prozent liegt, werde zur Jahrtausendwende auf über 16 Prozent steigen. Warum? Weil das „Preis- Leistungs-Verhältnis“ japanischer Autos wegen des gewaltigen Fertigungskostenvorteils für die Kunden attraktiv sei.

Während die europäischen Automobilhersteller Jokisch zufolge 25 Prozent teurer produzieren als die japanische Konkurrenz, liegen die Zulieferer 160 Prozent höher, und die Kosten der europäischen Händler übersteigen die fernöstlichen Verkäufer sogar um 250 Prozent. Aus den höheren Löhnen in Europa erklärt sich dieser Kostenunterschied nur zu einem geringen Teil. Die Einsicht, daß eine Politik der Lohnsenkung am Kern des Problems nichts zu ändern vermag, wie der Präsident des Gelsenkirchener Instituts „Arbeit und Technik“, Professor Franz Lehner, meint, verbreitet sich inzwischen auch in den Vorstandsetagen der deutschen Automobilbauer. Von den Japaner lernen, heißt für Lehner, eine „neue Form sozialer Organisation von Produktion“ zu schaffen, heißt Abschied nehmen vom „tayloristischen Denken“.

Beim Ford- Vorstandsmitglied Jokisch klingt das ähnlich. „Abbau von Hierarchien“, mehr „Gruppenarbeit“ und „weniger Zerstückelung“ des Produktionsprozesses, lauten die Stichworte zur Reorganisation des eigenen Betriebes. Im neuen Motorenwerk von Ford in Köln-Niehl habe die Einführung von „teilautonomen Arbeitsgruppen“ wesentlich zum ökonomischen Erfolg und einer sechzigprozentigen Produktivitätssteigerung beigetragen. Der neue Arbeitsstil verringerte die Abwesenheitsquote auf durchschnittlich 2,5 Prozent, das ist nicht einmal die Hälfte der üblichen Quote. Auch bei Opel in Eisenach (3 Prozent Abwesenheitsquote) arbeitet die Belegschaft in Gruppen, die neben der reinen Montagetätigkeit auch für die Qualitätssicherung, Instandhaltung und Materialbereitstellung verantwortlich sind. Mit Gruppenarbeit experimentiert Opel seit einiger Zeit auch im Bochumer Werk, wo derzeit rund 2.000 der gut 16.000 Beschäftigten in 140 Gruppen arbeiten. Während der Betriebsrat sich davon eine Humanisierung der Arbeit verspricht, hofft das Unternehmen auf Produktivitätsgewinne.

Gruppenarbeit bildet ein Element bei der Einführung der sogenannten lean production, der schlanken Produktion. Damit verbunden ist eine erhebliche Verringerung der Fertigungstiefe. Was das heißt, erklärte Jokisch so: Künftig sollten sich die Hersteller auf die Konzeption der Modelle und auf den Dienst am Kunden konzentrieren. Alle dafür nicht notwendigen Tätigkeiten werden in Zukunft von sogenannten „Systemanbietern“ – Spezialisten für Autositze, Hinterachsen etc. – erledigt. Bei den Autositzen ist dieser Ausgliederungsprozeß schon weitgehend abgeschlossen. Zuletzt hat Opel in Bochum seine Polsterei gegen den erbitterten Widerstand des Betriebsrates aufgegeben. Die jetzt per Lkw – just in time– von einem Spezialisten angelieferten Sitze kosten das Unternehmen 15 Prozent weniger als die aus der eigenen Produktion.

Der Trend zur Reduzierung der Fertigungstiefe, also der verstärkte Zukauf von Fertigteilen, da waren sich während der Bochumer Tagung alle Hersteller einig, wird sich beschleunigen. Viele der jetzt noch existierenden Zulieferfirmen werden davon gleichwohl nicht profitieren können. Von den 3.000 Zulieferern werden nach Einschätzung des Mannesmann-Vorstandsmitgliedes Peter lediglich 500 profitieren. Etwa 100 von ihnen würden den Sprung zu Systemanbietern schaffen, „die anderen 400 werden spezialisierte Produkte an die Systemproduzenten liefern“.

Um das Sterben der Kleinen zu begrenzen, hat die Düsseldorfer Landesregierung eine Initiative mit den großen Autoherstellern in Nordrhein- Westfalen – Opel, Ford, Mercedes – und einem Dutzend von Zulieferern gestartet, um Kooperationsprojekte zu fördern. Von 1994 bis 1997 stehen dafür 450 Millionen Mark zur Verfügung. Allein in NRW arbeiten 200.000 Menschen in der Zulieferindustrie. Zulieferer und Automobilbauer müssen nach Auffassung des Mecedes-Managers Manfred Remmel ihr Verhältnis künftig völlig neu ordnen: „Wir müssen weg von Gegnerschaften und Mißtrauensorganisationen.“

Für Eberhard Risse, Zulieferer aus dem sauerländischen Plettenberg, klingt das alles noch sehr nach Zukunftsmusik. Auch auf der Zuliefererseite bestehen gewaltige Überkapazitäten. Deshalb rechnet Risse „mit einem gnadenlosen Verdrängungswettbewerb, bis der Markt ausgeglichen ist“. Dabei fürchtet er, daß durch die Einkaufspolitik der Automobilbauer um des kurzfristigen Preisvorteils willen auch zukunftsträchtige Teilhersteller in Deutschland auf der Strecke bleiben. Risse wörtlich: „Da werden auch falsche Schweine geschlachtet.“

Foto: Joachim E. Röttgers/Graffiti