Massentests „nicht sinnvoll“

Die Kritik an Aufrufen zu Aids-Tests nimmt weiter zu  ■ Von Dorothee Winden

Berlin (taz) — Die Empfehlung von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) und Gesundheitspolitikern aus CDU, FDP und SPD, wonach vom Aids- Skandal beunruhigte BürgerInnen zum Aidstest gehen sollen, gerät zunehmend unter Kritik.

„Zur Zeit besteht kein Anlaß zu Massentests“, stellt Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender der Ärztevertretung Marburger Bund, fest. Den Vorschlag des niedersächsischen Sozialministeriums, daß sich alle PatientInnen, die seit 1982 mit Blutpräparaten behandelt wurden oder Bluttransfusionen erhielten, testen lassen können, wies er als „nicht sinnvoll“ zurück.

Vielmehr sollten sich PatientInnen bei ihrem Hausarzt oder Krankenhausarzt informieren, ob sie Blutprodukte erhalten haben, und feststellen, ob ihre Krankengeschichte überhaupt ein Infektionsrisiko berge. „Wo immer dies erfolgt ist und Restzweifel oder starke Angst des Patienten verbleiben, ist ein HIV-Test ein schnelles und zuverlässiges Mittel, um den Patienten von Angst und Zweifel zu befreien“, sagt Montgomery. Er betont, daß nur bei zehn Prozent der Operationen überhaupt Blutkonserven oder Blutpräparate eingesetzt werden. „Eine normale Blinddarmentfernung oder eine Nasenoperation bedarf keiner Blutprodukte.“

Das niedersächsische Sozialministerium schätzt die Zahl der PatientInnen, die seit 1982 bei Operationen Blut oder Blutprodukte erhalten haben, landesweit auf 1,2 Millionen. Die Zahl derjenigen, die mit unzureichend auf HIV- Viren getesteten Blutprodukten von UB Plasma behandelt wurden, ist jedoch um ein vielfaches geringer. Sie wird gegenwärtig auf insgesamt 2.000 Menschen geschätzt. Allein in Sachsen-Anhalt waren es in den vergangenen drei Jahren allerdings etwa 1.000.

Nach Berechnungen des niedersächsischen Sozialministeriums würde das Testen von 1,2 Millionen PatientInnen 15 Millionen Mark kosten. Angesichts dieser Kosten plädiert der Berliner Pharmakritiker Ulrich Moebius dafür, zunächst anhand der Krankenakten die Risikogruppe herauszufiltern.

Auch die hessische Gesundheitsministeriin Iris Blaul (Die Grünen) sprach sich dafür aus, statt Massentests die Empfänger und Spender der fraglichen Blutprodukte zu ermitteln.

Für den Präsidenten der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, stehen die Massentests in keinem Verhältnis zu dem Risiko, sich durch Blutprodukte oder Bluttransfusionen zu infizieren. Schließlich würden sich jährlich 4.000 bis 5.000 BundesbürgerInnen bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit dem HIV- Virus anstecken, dagegen schätzungsweise zehn durch ordnungsgemäß hergestellte Blutprodukte und etwa 100 durch Plasma, das beispielsweise nicht hinreichend getestet worden sei.

Statt Gelder für Massentests auszugeben, sollten diese besser in die Aufklärungsarbeit gesteckt werden, meint Ellis Huber.

Außerdem lenke die Aufforderung zum Test von dem tieferliegenden Problem ab, der „Profitorientierung der pharmazeutischen Industrie und des Bluthandels“. Huber sprach sich dafür aus, das Blutspendewesen Non-profit- Organisationen zu übertragen.

Kommunale Blutspendedienste seien dafür am besten geeignet, weil in den Kommunen am ehesten „Gemeinsinn und Mitmenschlichkeit“ – und damit auch ehrenamtliche Spender – zu finden seien. Aber auch Krankenhäuser könnten mit Hilfe ehrenamtlicher Dauerspender die lokale Blutversorgung sichern.

Staatlichen Blutbanken, wie sie die SPD gefordert hat, steht Huber skeptisch gegenüber. Das Beispiel Frankreich habe gezeigt, daß ein Aids-Blut-Skandal trotz staatlichen Blutspendedienstes nicht verhindert worden sei. Denn auch dieser arbeite „im Rahmen eines kommerzialisierten Gesundheitswesens“ und habe mit dem Bluthandel Gewinne erzielt. Aus einem Liter Blutplasma und der dazugehörigen Menge Spenderblut erwirtschaften Pharmaunternehmen bis zu 3.000 Mark.