■ Berlinalien
: Haifische, Mimosen, Frösche

Was haben Haifischbecken und Mimosengärten gemeinsam? – Beide Worthülsen passen auf den Hörfunkmarkt Berlins, der mit 17 Radioprogrammen im Äther und acht im Kabel einer der wettbewerbsintensivsten der Republik ist: Ein Kommerzsender mußte im Frühjahr den Betrieb einstellen („Info-Radio“), zwei nahmen im Sommer Entlassungen vor („Hundert,6“, „Berliner Rundfunk“), ein vierter laboriert heftig an Hörerverlusten („r.s.2“). Immer mehr Sender müssen sich den Werbekuchen der Hauptstadt teilen, der auf etwa 130 Millionen Mark im Jahr geschätzt wird. Die Nervosität der Dudelfunker wächst, zumal immer mehr Hörer ganz abzuschalten scheinen: 150.000 Hörer tauchten in der Quotenmessung dieses Jahres im Vergleich zu 1992 nicht mehr auf.

Jetzt rufen die Kommerzfunker gleichzeitig nach dirigistischem „Zulassungsstopp“ und „freier Marktwirtschaft“. Am 10. September sprachen sich die Sender „104.6 RTL“ und „Berliner Rundfunk“ gemeinsam gegen die weitere Zulassung von Kommerzstationen aus. Die beiden Privaten, sonst immer forsch dabei im Chor gegen die öffentlich-rechtlichen „Elendswellen“, machten plötzlich auf leidend. Es drohe „Kannibalismus“.

Die Medienanstalt Berlin- Brandenburg (MABB), die die Hörfunklizenzen vergibt, verzögerte die Zulassung von vier weiteren kommerziellen Stationen, bis die Werbeetats für 1993 vergeben waren. Die neuen Radios gehen nun erst im nächsten Jahr in den Äther. Wim Thoelke startet ein Rentnerradio mit dem schönen Namen „50 plus“. Der Berliner Konzertveranstalter Karsten Schwenkow („concert concept“) darf mit einer eigenen Welle Reklame für seine Live- Acts machen. Ebenfalls neu in Berlin: das bundesweit agierende „Klassik-Radio“ von Bertelsmann und die „BB-Landeswelle“ des Dudelpioniers Hermann Stümpert („Radio Schleswig-Holstein“), der das Umland mit mehreren Lokalstationen unter einem Musikmantel beglücken will.

Als die Medienanstalt MABB im Herbst dann tatsächlich mal einen ordnungspolitischen Vorstoß machte, war's auch nicht recht. Die vorgeschlagene gerechtere „Staffelung der Telekom-Gebührenordnung für Sendekosten“ (bisher zahlen kleine Sender und Radios in ländlichen Räumen übermäßig viel für die Übertragung) stieß auf Widerstand. Der Kommerzsender mit den meisten Hörern, das CDU- nahe „Radio Hundert,6“, witterte zuviel der „Fürsorge“. Erfolgreiche Radios müßten „für weniger erfolgreiche in die Bresche springen“, motzte „Hundert,6“-Chef Georg Gafron. Er will Haifisch, nicht Mimose sein – auch wenn das Wappentier seines Senders bloß ein Frosch ist. Hans-Hermann Kotte