Gänseblümchen-Zupfspiel an der Elbe

...aber das letzte Blütenblatt will keiner ausreißen / SPD legt ein „Koalitionsangebot“ vor, das zwar innerparteilich konsensfähig ist, von den Grünen aber entschieden zurückgewiesen wird  ■ Von Uli Exner

Hamburg (taz) – Kommt die Koalition? Kommt sie nicht? Kommt sie? Sie kommt... Nein, so weit sind Hamburger SPD und Grüne (noch) nicht, daß sie das letzte Blatt rupfen und das Scheitern ihrer umständlichen Koalitionsverhandlungen erklären. Aber so recht voran kommen sie – sieben Wochen nach der Bürgerschaftswahl – auch nicht, trotz eines am Wochenende von der SPD vorgelegten Vertragsentwurfs, „der aus Sicht der SPD geeignet ist, die Grundlage für eine Koalitionsvereinbarung zu schaffen“.

Das zwanzigseitige Papier, am Samstag pünktlich zum Beginn der Grünen-Mitgliederversammlung übergeben, wird bei der prinzipiell koalitionswilligen GAL ganz anders bewertet: Der Entwurf, so die beiden grünen ChefunterhändlerInnen Krista Sager und Thomas Littmann unisono, sei „völlig unzureichend“, ein „nicht sehr gelungener Versuch einer Koalition zwischen einer domestizierten SPD- Linken und einer herrschenden SPD-Rechten“.

Eine Einschätzung, die Senatschef Henning Voscherau gestern empört zurückwies. Die SPD sei der GAL „sehr weit entgegengegangen“. In den strittigen Punkten hätten sich eher die Rot-grün-Befürworter in der SPD-Delegation durchgesetzt. „Die GAL“, so Voscherau, „hat die ganze Dramatik dieses Schrittes gar nicht berücksichtigt.“ In der Tat hatten die Sozialdemokraten am Freitag bis tief in die Nacht über das Angebot gestritten, ehe sie sich schließlich auf einen Entwurf geeinigt hatten, den auch der Rot-grün äußerst skeptisch gegenüberstehende Voscherau mittragen konnte.

Tendenz: Alle von Voscherau zu Beginn der Verhandlungen vorgelegten „Essentials“ sollen von den Grünen mitgetragen werden. Darunter sowohl die von der GAL entschieden abgelehnte vierte Elbtunnelröhre, die Hafenerweiterung in Altenwerder und die Elbvertiefung. Als Gegenleistung gibt's unter anderem einige Tempo-30-Straßen, Fahrradwege, die (an Bedingungen geknüpfte) Stillegung eines von vier Atomkraftwerken in Hamburgs Umgebung bis zum Jahr 2000 und ein „Pilotprojekt autofreies Wohnen“. Außer einer jetzt zugesagten gutachterlichen Prüfung der künftigen Müllentsorgung der Stadt allesamt Punkte, die auch von der SPD-Linken gefordert werden. „Die GAL“, so das ketzerische Fazit des Grünen Thomas Littmann, „kommt in dem Entwurf nicht vor.“

Auch in dem einzigen wirklichen GAL-Essential, der Bestandssicherung der Häuser an der Hafenstraße, konnte sich die SPD- Verhandlungsdelegation nicht zu einem Entgegenkommen durchringen. Dazu heißt es in dem Vertragsentwurf: „Die Meinungsverschiedenheiten der Koalitionspartner bezüglich der Hafenstraße konnten nicht überbrückt werden. Eine neue Abstimmung der jetzt gewählten Bürgerschaft darüber, ohne jeden Fraktionszwang, muß man nach dem Wahlergebnis zu akzeptieren bereit sein.“

Das ist eine Formulierung, die nicht nur exakt der Voscherauschen Linie entspricht, sondern aus Sicht der GAL nach dem letztinstanzlichen Pro-Räumungs-Urteil des Hamburger Landgerichts einem Räumungsversprechen gleicht. Eine Mehrheit aus SPD- und CDU-Abgeordneten würde es schon richten.

Daß sich die GAL-Verhandlungsdelegation am Wochenende dennoch nicht daranmachte, das letzte Blatt aus dem rotgrünen Gänseblümchen zu rupfen, sich statt dessen anschickte, einen eigenen Vertragsentwurf vorzulegen, begründete Krista Sager mit einem Argumentationsmix aus inhaltlicher Verpflichtung und taktischer Parteistrategie. Zwar sei die Gefahr, „daß die Verhandlungen scheitern, riesengroß“, dennoch dürfe man erstens die grünen Ziele „Verkehrswende, Erhalt der Hafenstraße, Signal für eine rot-grüne Option in Bonn“ nicht kampflos preisgeben. Zweitens werde man der „zerstrittenen und bewegungsunfähigen“ SPD nicht den Gefallen tun, die Verhandlungen selbst für gescheitert zu erklären und ihr damit den Schwarzen Peter der Koalitionsunfähigkeit abzunehmen.

Zu diesen Überlegungen gesellt sich bei den Hamburger Grünen das fürs Gänseblümchenspiel unverzichtbare Fünkchen Hoffnung: „Wir verhandeln mit der CSU des Nordens“, mahnte der Bürgerschaftsabgeordnete Kurt Edler seine ParteifreundInnen zur Geduld, „wer hat denn geglaubt, daß das einfach wird?“

Und die SPD? Wird sie nach der brüsken Zurückweisung ihres dramatischen Schritts etwa...? Nein, erklärte Parteichef Helmut Frahm gestern, „wir wollen die Tür nicht zuschlagen“.