Benetton – die neue Apo? Der Werbeboß des italienischen Pulli-Multis diskutierte mit HIV-Infizierten und Aidskranken über seinen jüngsten Werbeclou. Statt Widerspruch erntete er Dank für sein „politisches Engagement“. Aus München Michaela Schießl

United Colors of Aids

Am Abend legt der Menschenfreund seinen Rechenschaftsbericht ab: Seit 1991 weltweit gegen Rassenfeindlichkeit angekämpft, Umweltverschmutzung angeprangert, Flüchtlingselend geschildert, Golf- und Bürgerkriege gegeißelt. Und – vor allem anderen – Aids zum Thema gemacht. „Es gibt viele Dinge, die die Gesellschaft am liebsten verdrängt“, sagt der Menschenfreund. Aber er läßt es nicht zu. Sagt er. Ganz „dem Sozialen und Universalen“ verhaftet, plakatiert er statt dessen gegen Gleichgültigkeit, für das Nachdenken und für Kommunikation.

Pascal Somariba spricht, als hätten ihn die United Nations nach München entsandt, und nicht die United Colors.

Tatsächlich sieht der Werbechef des italienischen Strickmodenkonzerns Benetton keinen grundlegenden Unterschied zwischen Politik und Konzernen. „Eine Regierung ist auch eine Art Unternehmen. Firmen wollen Umsatz, Politiker Wählerstimmen. Wenn etwas Konstruktives in Gang gesetzt wird, ist es egal, ob das Benetton tut, der Staat oder sonst wer. Hauptsache, es steht im Dienst einer gute Sache.“

Und in ebenjenem Dienst steht – Luciano Benetton sei Dank – neuerdings auch die Werbung. Signor Benetton hat mit dem Fotografen Oliviero Toscani einen Künstler und Fotografen engagiert, der Visionen besitzt von einer besseren Welt, und diese in vierfarbige Werbefotos umsetzt.

Somariba und Toscani: zwei Revoluzzer, die, auf dem Weg durch die Institutionen in der Benetton- Werbeabteilung gelandet, nun ihre Ansichten durchsetzen? Die Werbung als Apo (außerparlamentarische Opposition, d. Red.) von oben? „Man kann das in diese Richtung verstehen“, sagt Somariba, ohne die Miene zu verziehen. „Die meisten Werber merken gar nicht, wie sehr sie mit dem System kollaborieren. Wir machen Werbung gegen die Werbung.“ Nicht mal ein Zucken um die Mundwinkel.

Der Mann meint es ernst.

„Wir sind in der Lage, eine bestimmte Message weltweit zu plakatieren. Aus dieser Verantwortung heraus haben wir uns entschieden, weltumspannende gesellschaftliche Probleme zu diskutieren statt Claudia Schiffer in einen Benetton-Rolli zu stecken“, sagt Somariba und schaut wie einst Rudi Dutschke. Daß mit der sozialen Masche im vergangenen Jahr ganz nebenbei ein Umsatzplus von neun Prozent gemacht wurde, ist ein angenehmer Nebeneffekt für die subversiven Aufklärer: „Solange Benetton Geld verdient, können wir weitermachen.“

„Ich lebe seit zwei Jahren mit der Problematik um HIV und Aids“, beginnt Somariba seinen Eingangsvortrag in der Münchener Caféteria. Ein Satz, der wie Hohn klingen müßte in den Ohren derer, an die er gerichtet ist: Mitglieder der 4. Bundeskonferenz der Menschen mit HIV und Aids. Menschen, die das tödliche Virus im Blut haben, und nicht nur als Werbegeschwulst im Hirn.

60 Personen, die meisten davon HIV-Positive, waren zu der Abendveranstaltung erschienen, um über die neueste Aids-Kampagne der Firma zu diskutieren: Ein nackter Hintern, ein Oberarm, ein Rücken, alle mit einem Stempel versehen – „H.I.V. positive“.

„Mit dieser Assoziation zu den tätowierten KZ-Häftlingen wollten wir die zunehmende Brandmarkung HIV-positiver Menschen aufzeigen“, sagt Somariba. Mit sanfter Fahrstuhlstimme trägt er vor, als Rüdiger der Kragen platzt. „Mich hat diese Werbung ängstlich gemacht, wütend und verletzt. Sie hat eine Diskussion wiederaufleben lassen, die schon längst zu den Akten gelegt war: Die der Tätowierung HIV-Infizierter. Ich möchte nicht für Pulloververkauf mißbraucht werden.“

Doch Rüdiger steht ziemlich alleine da mit seiner Kritik. Nur fünf der Anwesenden halten die Benetton-Werbung für verletzend, scheinheillig und verlogen. Wenn Benetton sein Engagement ernst meint, warum spendet er das Geld nicht der Aids-Hilfe?

„Das könnte sich vielleicht Mutter Theresa leisten“, nimmt ein Zwischenrufer die Firma in Schutz, und Somariba enthüllt, daß sein Auftraggeber nicht die Caritas ist.

„Eben“, sagt Franz. „Im Grunde müssen die uns gar nichts geben.“ Franz trifft die Grundstimmung der meisten Anwesenden: „Dankbarkeit.“ – „Ich danke Benetton. Sie machen HIV gesellschaftsfähig.“ – „Ich finde die Werbung toll, sie ist eine Unterstützung für uns.“ – „Mir ist es egal, ob die mehr Pullover verkaufen. Hauptsache, unser Problem kommt weltweit ins Gespräch.“ – „Ein kleinkarierter Umgang mit Werbung ist hier fehl am Platz.“

Kritisiert werden bestenfalls Einzelheiten: „Und wenn Rechtsradikale diese Werbung sehen?“ fürchtet eine Frau und bittet, die Anzeige unmißverständlicher zu gestalten. „Das ist mir ein Herzenswunsch für die nächste Kampagne.“

Kein Wort fällt über die Anmaßung der Werbung, sich gesellschaftlicher Probleme zu bemächtigen. Kein Bedauern, daß die, die gestern noch die „Rama“-Familie kreierten, heute die Weltprobleme zum Werben mißbrauchen. Wo Somariba früher vom Podium gezogen worden wäre, ist heute nurmehr Schulterzucken. „Wir haben die finanziellen Möglichkeiten nicht, uns selbst ins Gespräch zu bringen.“ Und wenig Zweifel an der Absicht der Pullover-Revoluzzer. „Ist es denn so schwer, einer Firma zu glauben, daß sie es ernst meint mit ihrem sozialen Engagement?“ fragt Michael Lenz, Sprecher der Deutschen Aids-Hilfe. Interessenvertretung via Werbung? Kein Problem mehr in den 90ern.

Geschickt nutzt Pullimulti Benetton die verzweifelte, verständliche Bereitschaft der HIV-Infizierten aus, alles anzunehmen, was ihre Lebenssituation verbessern kann – auch jenseits jeglicher politischer Ansprüche. Wer eine todbringende Krankheit hat, fragt natürlich nicht lange, aus welcher Ecke Hilfe kommt. Auch wenn es vermeintliche Hilfe ist: Er oder sie greift zu, besonders, wenn seitens der offiziellen Politik die gesellschaftliche Ausgrenzung droht. Benetton hat die Bedürftigkeit erkannt, die einhergeht mit schwindendem Widerstand gegen die Feinde von einst: den Unternehmern. Daß sich der ein oder andere zutiefst angewidert fühlt, wie der aidskranke Franzose Olivier Besnard-Rousseau (siehe Foto und Bericht auf dieser Seite), nimmt Benetton in Kauf. „Das ist schlimm. Aber man kann es nicht jedem Recht machen“, sagt Werbechef Somariba, ganz im Stile eines Revolutionärs: Opfer müssen gebracht werden. Nur daß es nicht seine Leute sind, die die Ofer bringen müssen. Aber ganz so genau kann das ohnehin keiner mehr unterscheiden, das Feindbild von einst ist verschwommen. „Im Grunde ist Benetton ein kulturelles Phänomen, nicht nur eine industrielle Organisation“, glaubt Geschäftsführer Aldo Palmeri. In der Tat: Seit die Werbung den Protest übernommen hat, gehen statt Menschen Plakate auf die Straße. Endlich ist der gesellschaftliche Diskurs in professionellen Händen! Wir, die Ewiggestrigen, die viel zu lange dachten, selbst laut werden zu müssen, geben ab. Benetton: Übernehmen Sie!

P.S.: Lieber Luciano, könntest Du nicht mal was gegen die Skins unternehmen? Und in München wollen sie ein neues Atomkraftwerk hinstellen! Wir zählen auf Dich! Deine Kunden.