Sanssouci
: Vorschlag

■ Gedenken in Noten

Adorno hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu der Äußerung hinreißen lassen, daß nach dem Grauen des Dritten Reiches Komponieren schlichtweg unmöglich geworden sei; eine Meinung, die ein Teil seiner musikwissenschaftlichen Gefolgschaft noch Jahre später zwar radikal, aber mehr theoretisch als praktisch verfocht.

Die Musiker indessen kümmerten solche Überlegungen kaum, und bereits in den ersten Jahren nach Ende des Nazi-Regimes entstand ein umfangreiches Repertoire, das die Grauen dieser Zeit auf unterschiedlichste Weise tönend reflektierte. Nicht nur Schönberg (ein Überlebender aus Warschau, 1947) oder Penderecki haben da aus der Reihe der First-class-Komponisten mitgewirkt, ein Thema musikalisch zu bearbeiten, das mittlerweile – etwa in Form von „Orchesterstück zu Auschwitz, Höchstdauer fünfzehn Minuten“ – auch schon des öfteren als Vorgabe für Komponistenwettbewerbe benutzt wurde.

Heute ist der 9. November. Arithmetische Zufälligkeiten, wie das Zusammentreffen des Falls der Mauer mit diesem historischen Datum der Reichspogromnacht, sind mittlerweile etwas in den Hintergrund gerückt, lag doch auch die Unmöglichkeit, den 17. Juni auf den 9. November zu verlegen, bereits vor vier Jahren auf der Hand. Zur Erinnerung an die Reichspogromnacht aber wird die amerikanische Pianistin Adina Mornell heute einen eigens dafür aufwendig zusammengestellten Klavierabend geben.

Die zur Aufführung gelangenden Werke stehen alle in Zusammenhang mit den Schrecken des Dritten Reiches. Sie entstanden in Vorahnung des Terrors, in Gefangenschaft, im Exil oder auf der Flucht. Adina Mornell hat sie mühselig ausgewählt: Nur ein einziges der Stücke war im Notenhandel in Deutschland erhältlich. Verständlich, daß sie das Programm des Abends nicht im vorhinein verraten will: Das Namenlose soll im Namenlosen verharren. Trotzdem wird die Künstlerin, die bereits in frühester Jugend ihre Ausbildung in Klavier und Tanz erhielt, in kurzen, persönlich eingefärbten Geschichten Einführungen und Hintergrundinformationen zu den erklingenden Werken geben.

Wer dann am Ende doch noch nachlesen will, was er gehört hat, kann sich freilich ein Programm aushändigen lassen. Das Hören selber aber steht an diesem Abend nicht im Zeichen musikwissenschaftlicher Zuordnungen oder der Bewunderung persönlicher Autorenschaft, sondern ist der Erinnerung an die Ereignisse des 9. November 1938 in diesem unserem Lande gewidmet. Fred Freytag

Adina Mornell: „Tonschöpfung und Scherbenhaufen“ – Zur Erinnerung an die Reichspogromnacht, heute 20.30 Uhr in der „Unerhörten Musik“ im BKA, Mehringdamm 34, Kreuzberg