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Jeder ist sich selbst der Wassermann

Klaus Pohls „Selbstmord in Madrid“ in Zürich uraufgeführt  ■ Von Jürgen Berger

Franz Wassermann heißt er und geht ruhelos in seinem Madrider Hotelzimmer hin und her, zupft die Bettdecke zurecht, legt sich den Frack hin, trifft akkurat Vorbereitungen. Könnte sein, daß er zu einem Fest geht, was sonst auch, es ist ja Silvester und bald Mitternacht. Allerdings, da sind auch merkwürdige Kleinigkeiten. Die Rose, die er hinstellt, dazu der Brief, als sollte er von jemandem gefunden werden, und dann das Secobarbital, das man mit Whisky einnehmen soll. Aber auch hier bleibt Wassermann sich treu und spült es mit Birnenschnaps runter, bis zur letalen Dosis von 2,4 Milligram. Danach wird sein Kopfgrimmen wohl abgetötet sein, das quälende Hirnbohren des ewigen Verlierers, während im Nebenraum die Erfolgreichen feiern, unter ihnen der Durchstecher Schröder, ein Versicherungsmatador der jung-erfolgreichen Sorte. Wassermann ist ein Policenvertreter auf der Verliererstraße, ein Handlungsreisender à la Miller allerdings ist er nicht, eher ein Beckett- Krapp, dem die Erinnerung an bessere Zeiten denn doch ab und zu das Hirn wärmt. In der Züricher Uraufführung spielt der Autor selbst, Klaus Pohl wollte sein eigener Wassermann sein, und wenn nicht alles täuscht, hat er auch Regie geführt, obwohl im Programm unter dieser Rubrik der Name Sanda Weigl vermerkt ist.

„Selbstmord in Madrid“ heißt das Stück, mit ihm hat ein Jahr nach Rainald Götz' „Katarakt“ wieder ein überzeugender Monolog seinen Weg auf die Bühne gefunden; die Geschichte eines Außenseiters, sein grotesk-trauriger Weg am Rande des reibungslos funktionierenden Lebens. In der Jugend, als man die Haare lang trug, war Wassermann das aufgrund des spärlichen Haarwuchses versagt, der erste schüchterne Twistversuch endete in einer Katastrophe, die Ehe war ein Martyrium: Immer nur Reisgerichte, und das bei seiner Anlage zur Verstopfung. Es mußte so kommen, nachdem er seine Frau während eines Fortbildungskurses für Versicherungsangestellte an der Ostsee kennengelernt hatte. Klaus Pohl spielt das, indem er fahrig im schäbigen Hotelzimmer herumfingert, vieles anfangen will, wenig zu Ende führt, und immer wieder auf die Geräusche aus dem Nebenzimmer lauscht, wo Schröder und Konsorten feiern. Er ist ein Getriebener und Ordnungsfanatiker, der alle Gegenstände und sich selbst permanent in Ordnung zupfen will.

Das ist genau die Motorik für einen wie Wassermann, der in sich zusammengezogen lebt und nun zum letzten Mittel greift, um auf sich aufmerksam zu machen. Allerdings, das stimmige Wassermann-Bild, das der Schauspieler Pohl im Gehen aufbaut, zerstört er häufig, in dem er über den Text hinweghastet, als ginge es darum, jegliche Qualität wieder aus ihm herauszureden, die der Autor Pohl hineingeschrieben hat. Oft ist Pohl nicht nur sein eigener Wassermann, sondern auch sein eigener Textvernichter. Schnelle 83 Minuten währte die Züricher Uraufführung, was unter anderem auch daran liegt, daß der Autor/Schauspieler seine witzige Parodie von Krapps berühmter Bootsfahrt etwa in Weltrekordzeit meuchelt. Bei Beckett seufzt das Schilf unterm Bootskiel und Krapp gibt sich noch einmal seiner Erinnerung hin, bei Pohl bekommt Wassermann von seiner Frau schlankweg die Brille geklaut.

Eine ironische Wendung, gekonnt geschrieben, aber nicht gespielt ist das; eine Passage, während der man meint, in einer Sprechprobe im Wohnzimmer gelandet zu sein. An anderer Stelle wiederum gibt es genau gearbeitete Partien. Einmal zum Beispiel will Wassermann es dann doch wissen und hält eine Rede, die sich zu einer sprunghaften Achterbahnfahrt in die eigene Biographie und Weltgeschichte steigert. Pohl spielt das als langsam aufsteigende Wahnsinnsarie, in dem er langsam auf einem überdimensionalen, asymmetrischen Stuhl aufsteigt. Oben auf der Sprossenlehne erschrickt er vor sich selbst: „Was sagte der Arzt? Herr. Geben Sie öfter ihren Gefühlen nach, Ihren Spinnereien, Ihren Flausen. Bitte. Bitte! Folgt man dem Rat, geht's gleich in die ganz falsche Richtung.“

Auch Pohl gab einmal einer Flause nach, mitten im schönen und zitatreichen Monolog kommt zweimal ganz kurz der Zwerg Weckwerth in Wassermanns Hotelzimmer. Damit es peppiger wirke, steckt er beim zweiten Kurzauftritt im Elvis-Kostüm, besser allerdings wäre ein beherzter Strich gewesen. Zu den Rätseln der Inszenierung zählt, daß an anderer Stelle dann doch gestrichen wurde. Aus unerklärlichen Gründen weggefallen ist ein Schlußintermezzo mit einer jungen Spanierin. Sie redet los, während bei Wassermann bereits das Secobarbital seine Arbeit verrichtet. Da könnte es weitergehen, das Mädchen will das neue Jahr mit Wünschen beginnen, Wassermann hält kurz mit, dann allerdings entschlummert er, dezent unterstützt durch die Pharmaindustrie. In Zürich jedoch kommt das Mädchen nur kurz herein, dann kriechen Käfer unter dem Bett hervor (Kafka läßt grüßen) und abrupt gehen die Lichter aus.

Vielleicht liegt des Rätsels Lösung ja darin, daß sich hinter der Regisseurin die Ehefrau Pohls verbirgt. Wir warten also darauf, daß das Stück tatsächlich inszeniert wird, der Züricher „Selbstmord in Madrid“ wird allerdings zuerst einmal ans Hamburger Thalia Theater wandern, während sich in Essen bereits die nächste Pohl-Uraufführung anbahnt. Im Frühjahr wird es dort um einen Kicker aus der Provinz und seinen unaufhaltsamen Aufstieg in die erste Liga gehen.

Klaus Pohl: „Selbstmord in Madrid“. Regie: Sanda Weigl. Bühne, Kostüme, Musik: Robert Longo. Mit: Klaus Pohl, Peter Luppa, Soraya Gomaa/Corina Sendin. Schauspielhaus Zürich. Weitere Aufführungen: 9., 14., 15., 16., 19. und 21.11.

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