: Korruptionsskandal lähmt Brasilien
Untersuchungsausschuß deckt auf, wie sich Abgeordnete auf Kosten ihrer Wähler bereichern / Staatliche Lotterie als Geldwaschanlage / Das Beispiel Italien vor Augen ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange
Alle Jahre wieder ein Korruptionsskandal. Ein Jahr, nachdem die Brasilianer ihren Präsidenten Fernando Collor de Mello aus dem Amt jagten (die taz berichtete), müssen sie ernüchtert feststellen, daß die Korruption in der Politikerkaste weiterhin enorme Blüten treibt. 26 Parlamentarier, zwei Minister, zwei ehemalige Minister und drei Gouverneure sollen Haushaltsgelder in Millionenhöhe veruntreut haben. Besonders die Volksvertreter aus dem unterentwickelten brasilianischen Nordosten steigerten ihr Privatvermögen auf Kosten der armen Bevölkerung in Rekordzeit.
Zentrale Figur des brasilianischen Korruptionsskandales ist der Abgeordnete João Alves aus dem nordöstlichen Bundesstaat Bahia. Vor der Parlamentarischen Untersuchungskommission (CPI), die auf der Suche nach den fehlgeleiteten Geldströmen ist, sagte der ehemalige Referent der Haushaltskommission im Kongreß aus, er habe sein ernormes persönliches Vermögen „Gottes außerordentlichem Segen“ zu verdanken. In Wirklichkeit setzten sich die beachtlichen Nebenverdienste des Abgeordneten João Alves aus unzähligen Bestechungsgebühren zusammen. Jede Wohlfahrtsorganisation, Stadtverwaltung oder politische Vereinigung, die der Ex-Referent der Haushaltskommission bei der Vergabe öffentlicher Gelder bedachte, mußte dem 74jährigen umgehend seine Dankbarkeit erweisen. Auch bei den großen Bauunternehmen, für die er lukrative Aufträge einfädelte, kassierte João Alves kräftig ab.
Sein Kollege Ricardo Fiuza, Abgeordneter aus dem nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco und ehemaliger Sozialminister unter Ex-Präsident Collor, mußte der CPI vergangene Woche Rede und Antwort stehen. Nach Angaben der brasilianischen Zeitung Folha de São Paulo vervierfachte sich Fiuzas persönlicher Reichtum in den letzten vier Jahren von 1,7 auf 7,3 Millionen US-Dollar. Im gleichen Zeitraum sorgte Fiuza als Sozialminister für die Überweisung von 150 Millionen Dollar an soziale Institutionen. Nur zehn Prozent der Gelder kamen an. Der Rest verschwand in den Taschen der Volksvertreter.
Um den kriminellen Ursprung seiner Nebenverdienste zu vertuschen, entwickelte sich der Abgeordnete João Alves zur heftigsten Spielernatur ganz Brasiliens. Nach einem von der CPI angeforderten Bericht der Staatsbank „Caixa Economica Federal“, die in Brasilien die Lotterie ausrichtet, gewann der 74jährige seit 1988 genau 24.251 Preise. Die Einsätze des Politikers waren derartig hoch, daß er zuweilen 47 Prozent aller Wetten in ganz Brasilien aufkaufte. „Wer wettet und gewinnt, ist ein Spieler. Doch wer wettet und verliert, ist ein Geldwäscher“, kommentiert der Referent der Untersuchungskommission, Roberto Magalhaes. Nach den bisherigen Nachforschungen der CPI setzte Alves 30 Millionen erpreßte Dollar ein, um zehn Millionen „ehrlich verdiente Bugs“ herauszubekommen. Bei der Verschiebung der enormen Summen benutzte er unter anderem das Konto seiner Hausangestellten Noelma Neves. Die „alte Schwarze“, wie Alves seine Angestellte nennt, wußte von ihrem Reichtum nichts, denn Alves fälschte gekonnt ihre Unterschrift.
Sowohl Alves als auch Fiuza gelangten mit Hilfe der verarmten Landbevölkerung ins Parlament. In Alves Wahlkreis „Presidente Janio Quadros“ im Südosten Bahias kasteien sich Landarbeiter mit kilometerlangen Märschen in der prallen Sonne und Steinen auf dem Kopf, um Regen für die ausgedörrte Region zu erflehen. Frauen lassen sich ihre Stimme für eine „Operation“, die Durchtrennung der Eileiter, abkaufen.
Während sich der Kongreß in der Hauptstadt Brasilia in ungewohnter Selbstreinigung erprobt, organisiert die „Brasilianische Bewegung für Ethik in der Politik“, die mit ihren massiven Demonstrationen maßgeblich an der Absetzung von Ex-Präsident Collor im vergangenen Jahr beteiligt war, erneut Kundgebungen in den Großstädten Brasiliens. Um nicht im Sumpf der Korruption unterzugehen, versuchen nun Vertreter des politischen „Establishments“, dem großen Saubermachen im entfernten Italien nachzueifern.
„Schluß mit dem allgemeinen schamlosen Diebstahl“, fordert etwa Wirtschaftsminister Fernando Henrique Cardoso. Solange die Parlamentarier mit sich selber beschäftigt sind, hat er eine prächtige Entschuldigung für seine nicht gerade überwältigenden Resultate bei der Bekämpfung der monatlichen Inflation von 35 Prozent. „Wie kann man von mir einen Plan zur Sanierung der Haushaltsfinanzen verlangen, wenn festverankerte Korruptionsschemen schamlos in die öffentlichen Töpfe greifen?“ verteidigt sich Cardoso. Schon jetzt steht fest: Erst nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Oktober 1994 wird in Brasilien wieder regiert. Denn wenn die CPI ihre Arbeit abgeschlossen hat, ist der Wahlkampf bereits ausgebrochen.
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