Spannender, widersprüchlicher Prozeß

■ „Alt & Jung-WG“ der Grauen Panther in St. Georg: Generationen-Gemeinschaft statt Pflegeheim

Ein in der Bundesrepublik einmaliges Projekt des Für- und Miteinanders im Hamburger Stadtteil St. Georg verbindet das Wohnen von Alt und Jung mit einem ungewöhnlichen Pflegekonzept. 15 Parteien planten seit drei Jahren gemeinsam ihr Wohnprojekt, nahmen bürokratische Hürden und lernten sich kennen. Alle acht Wochen ist jetzt ein offizielles Hausgemeinschafts-Treffen anberaumt, im eigenen Stadtteil-Café im Erdgeschoß.

In dem roten Neubau am Hansaplatz wohnen alle Generationen, vom dreijährigen Kind bis zur 86jährigen Alice. Auch fünf Pflegebedürftige haben hier eine eigene Wohnung bezogen, sie müßten sonst in ein Heim und vertrauen jetzt auf die Fürsorge ihrer Nachbarn. Seit etwa zwei Monaten läuft das soziale Experiment in der Praxis, und die ist nicht ganz einfach.

„Hier ist ein Prozeß voller Widersprüche und Spannung im Gang“, beobachtet Günter Westpfahl, Mitinitiator des Projektes des Altenselbsthilfe-Vereins „Graue Panther“. Westphahl, selbst seit 1980 Panther-Mitglied, ist Photograph und bezeichnet sich als „sozial engagierten Künstler“. „Mein Kunstwerk ist fertig, jetzt habe ich es der Verantwortung seiner Besitzer übergeben“, betont er. Regeln des Zusammenlebens gibt er den Bewohner nicht vor, eine gemeinsame Satzung existiert nicht. Autonomie und Eigenverantwortung lautet die Devise.

„Jeder ist vom Prozeß des Alterns betroffen und braucht die Hilfe und Fürsorge seiner Nachbarn.“ Das Geben und auch das Nehmen müsse die Gemeinschaft bestimmen. Ein anderes Miteinanderleben der Generationen müsse möglich sein. Westphahl wendet sich bewußt gegen die Unterbringung Pflegebedürftiger in Heimen: „Dort ist der Mensch nicht mehr gefragt. Die Schwachen stehen in der Heimhierarchie an unterster Stelle“, kritisiert er.

„Ich finde die Idee toll, im Haus füreinander da zu sein“, begründet die 18jährige Tina ihre Entscheidung, in das neue Panther-Haus zu ziehen. „Aber viele kümmern sich gar nicht um die Hausgemeinschaft“, stellt sie ernüchtert fest. Erwin Krause hat noch Kartons in seiner Zwei-Zimmerwohnung herumstehen. Er ist schwerbehindert und lebte bislang im Pflegeheim. Stolz zeigt er jetzt sein eigenes Reich, eine Pflegerin hilft ihm täglich. Mit seinem Rollstuhl hat er auch hier Probleme, sich frei zu bewegen: „Vor der Balkontür ist eine Schwelle, ich kann nicht hinaus.“

Das Haus in St. Georg ist bereits das zweite Panther-Haus in Hamburg. Vor sieben Jahren wagten Vereins-Mitglieder erstmals ein Miteinander von Jung und Alt in einem Haus in Winterhude. In der neuen Wohn-Pflege-Hausgemeinschaft kommen nun noch Schwerbehinderte dazu. Westpfahl hofft jetzt, daß die Generationen-Gemeinschaft Schule macht. Rund 100 Interessenten hatten sich vor drei Jahren spontan gemeldet, als die Panther ihr Vorhaben erstmals an die Öffentlichkeit trugen.

„Jeder lebt jetzt in der Spannung zwischen seinen eigenen Ansprüchen an das Projekt und seinen realen Fähigkeiten“, sieht Westpfahl. Viele Probleme kennt er schon aus dem ersten Panther-Haus. „Diese Widersprüche bringen Bewegung in den Haus-Prozeß“, meinte er optimistisch. Claudia Utermann/lno