■ Mit Havels Segen: Szene besetzt traditionelles Kaffeehaus
: Happening im Prager „Slavia“

Prag (taz) – An der Moldau herrscht mal wieder ein mittelschweres Chaos: Autos stehen trotz Grünphase an der Ampel, Passanten schlagen auf dem Trottoir Wurzeln, und die Straßenbahnfahrer trauen ihren eigenen Augen nicht. Der Grund: In Prags traditionellem Kaffeehaus „Slavia“ brennt nach eineinhalb Jahren erstmals wieder Licht. Innen werkelt ein bunter Haufen junger Szenemenschen ungefähr in dem Tempo wie die kleinen Männchen im Stummfilm: Sie putzen Fenster, polieren staubgeplagtes Mobiliar und fegen ausgedörrte Mäusekadaver zusammen. Zwei junge Burschen schleppen Bier, Wein, Kaffee und Kuchen hinter die Theke. Voilà, alles soll genauso werden wie früher.

Montag spätnachmittag. Kamerateams ziehen durchs Café, Blitzlichter flackern. Die Hausbesetzer setzen sich freiwillig den Fragen der Presse aus. „Heute wurde der Club der Freunde des Café Slavia gegründet“, erklärt Marek Gregor, „es darf einfach nicht sein, daß ein Haus wie dieses der Öffentlichkeit verschlossen bleibt.“ Die Spontanaktion sei ein Zeichen gegen die Lethargie des jetzigen Pächters, sagt er. Schon seit dem Frühjahr 1992 verspricht die amerikanische Firma HN Gorin, das Café zügig zu renovieren. Eine leere Versprechung, denn gemacht wurde bisher natürlich noch gar nichts.

Das „Slavia“ galt stets als Mekka der Moldauintellektuellen: Schriftsteller und Schauspieler, Maler und Musiker trafen sich zu leidenschaftlichen Debatten. Und weil die Schließung des legendären In-Treffs auch Präsident Václav Havel gehörig ärgerte, hat er vor kurzem mit dem Poeten Jiri Kolar in einer TV-Sondersendung zur Rettung des Cafés Tacheles geredet: „Wir rufen die HN Gorin unverzüglich auf, das Slavia zu öffnen. Ansonsten stört die Firma vehement das gute Verhältnis Prags Intellektueller zum Kapitalismus und zu den Vereinigten Staaten.“ So gesehen, dürfte Havel der Besetzung des Cafés stillschweigend seinen Segen erteilt haben.

Ins „Slavia“ einzudringen war nicht schwer: Marek Gregor und sein Gefolge erhielten Schlüssel und Rückendeckung von dem tschechischen Bühnenbildner Ladislav Provaan, der auch Teilhaber der Firma HN Gorin ist. Provaan hatte nach einem Streit mit den amerikanischen Partnern eh nichts mehr zu verlieren. Eigenen Angaben zufolge hat er „Frau Gorin aus Boston stets vorgeworfen, daß Café entgegen vertraglicher Vereinbarungen an den Restaurantbesitzer Sanjeiv Suri weitervermietet zu haben“. Suri nutzte das „Slavia“ lediglich als Abstellkammer für Gemüse.

Jedenfalls staunt er an diesem Montag nicht schlecht: In seiner Rohkostkammer wird ein Happening mit Bier, Wein und belegten Brötchen zelebriert. Weil ihm das Ganze jedoch nicht schmeckt, ruft er flugs die Polizei an, die innerhalb kurzer Zeit mehrmals anrückt – um zu sehen, was denn dort los ist: Die „Slavia“-Berichterstattung des tschechischen Fernsehens wird gefeiert. Und natürlich wird debattiert. Wie in guten alten Zeiten. „Einerseits will HN Gorin das Slavia pomös herrichten, andererseits versprechen sie älteren Pragern und Studenten die Preise von früher“, sagt einer der Putschisten. Das passe doch nicht zusammen. Auf die Amis sei er gar nicht gut zu sprechen.

Paradoxerweise steht hinter den Hausbesetzern auch jene Gruppe, die den Pragern schon ausreichend Stoff für Zynismus geliefert hat: die Amerikaner, die im Gemeindehaus der Stadt (Obecni dum) bereits das Café „Nouveau“ und die Discothek Repre unter ihren Fittichen hält. Wohl deshalb lassen sich weder dort noch im „Slavia“ verstaubte Nostalgien wieder aufpolieren. Tomas Niederberghaus