Koffer in Berlin

Osteuropas Sportcracks zieht es in den Westen, doch die Zeit der Sonderangebote ist vorbei  ■ Von Martin Böttcher

Berlin (taz) – Sportforum Hohenschönhausen, Berlin: Die Russin Ekaterina Silnizkaja fährt gemeinsam mit ihrem Partner Mirko Müller auf dem frisch geglätteten Eis, folgt exakt der Spur ihres Partners. Doch plötzlich stoppt sie und bricht die Bewegung ab. „Noch einmal“, fordert der Trainer, als sich Ekaterina mit russischem Akzent, aber in fehlerfreiem Deutsch über sich selbst beschwert.

Ekaterina Silnizkaja, gebürtige Moskauerin, lebt seit anderthalb Jahren in Berlin, der Stadt, die sich anschickt, zur Ost-West-Drehscheibe zu werden, auch im Sportbereich. Doch die Zeiten, da die Sportlerinnen und Sportler aus dem ehemaligen Ostblock für Spottpreise zu bekommen sind, sind vorbei. Gerade im Profibereich kennen sie mittlerweile ihren Wert sehr gut, und auch die Vereine wissen, daß sie entsprechende Löhne und Ablösesummen einkalkulieren müssen.

Für Lorenz Funk, den Manager des Eishockey-Clubs EHC Eisbären Berlin, ist es nichts Besonderes mehr, mit Clubs im Osten über Spielerverkäufe zu verhandeln. Auch Freistellungen durch den Verband seien ohne Schwierigkeiten zu erhalten. In den Reihen seines Vereins spielen mit Jeri Dopita und Richard Zemlicka zwei Tschechen, die bei den Eisbären ein Vielfaches dessen verdienen können, was in ihrer Heimat möglich wäre. Den von den Eisbären so dringend gewünschten Erfolg brachten jedoch auch die zwei Tschechen, die nach dem Ende ihrer Profi-Laufbahn wieder in ihre Heimat zurück wollen, nicht.

Einstige Sporthochburgen als Vorratslager

Die Talentsucher des bundesdeutschen Sports haben inzwischen den ehemaligen Ostblock als großes „Vorratslager“ entdeckt und profitieren gerade im Amateurbereich von der schlechten wirtschaftlichen Situation in den einzelnen Ländern. So wurde die 16jährige Ekaterina Silnizkaja vor knapp zwei Jahren von einer Berliner Eislauf-Trainerin in Rußland angesprochen. Ein Internatsplatz wurde ihr angeboten, ein Partner stand schon von vornherein für die Paarläuferin fest. Monatliche Zahlungen der Sporthilfe finanzieren den Aufenthalt und sollen das gelegentliche Heimweh des Mädchens, dessen gesamte Familie in Moskau wohnt, mildern. Dank der gründlichen Ausbildung ließen die sportlichen Erfolge nicht lange auf sich warten: Ein zweiter Platz bei den Deutschen Meisterschaften, ein elfter bei den Europameisterschaften in Helsinki im letzten Jahr.

Talentsuche per Rundschreiben

Die Nationalität spielt im Eistanz keine Rolle, daher konnte Ekaterina ohne Probleme für den deutschen Verband starten. Auch für den lettischen Eistänzer Vasilij Serkow bietet sich deshalb eine große Chance: Der 20jährige stand fast sein ganzes Leben auf dem Eis – bis auf die letzten zwei Jahre. Der Familie war es wegen der sehr schlechten Lage in Riga nicht möglich, für die Kosten seines Sports aufzukommen. Die Trainerin Petra Hampel vom Sport Club Charlottenburg dagegen war in Berlin, wie sie selbst sagt, „händeringend auf der Suche“ nach einem Partner für ihren Schützling Katrin. Petra Hampel schrieb Briefe an alle ehemaligen Sowjetrepubliken, und in Riga erinnerte man sich an Serkow. „Serkows Traum“, sagt Petra Hampel, „ist es, eiszulaufen.“ Die Kosten dieses Traums müssen erst einmal von der Familie seiner Partnerin übernommen werden. Dort wird er zunächst auch wohnen.

So einfach heutzutage ein Wechsel von einem Land ins andere zu organisieren ist, so schwierig war das früher. Andreas Schubert, Eishockeyprofi beim Bundesligisten BSC Preussen, wurde vom Verband nicht freigegeben, nachdem er sich 1987 bei einem Match der polnischen Nationalmannschaft in Deutschland abgesetzt hatte. Nach seiner Sperre nahm der 32jährige die deutsche Staatsbürgerschaft an und fand schließlich den Weg nach Berlin. Doch Schuberts polnische Ehefrau fühlt sich noch nicht heimisch in Deutschland, deshalb ist er sich „nicht sicher, ob ich nicht doch nach Polen zurückgehe.“

Oft lockt die osteuropäischen Sportler, neben dem finanziellen Anreiz, die Aussicht auf professionelle Trainer und gute Trainingsmöglichkeiten. In ihren Heimatstaaten ist mit dem Sport kein Geld zu verdienen, die Regierungen sparen mit der Unterstützung, die einst so reichlich geflossen ist. Handball-As Gueorgi Sviridenko aus Weißrußland verdingte sich aus diesen Gründen beim Handball-Zweitligisten Blau-Weiß Spandau. Gleichzeitig spielt der ehemalige Sowjet-Nationalspieler für das bjelorussische Team. Sviridenko, der einen Zweijahresvertrag bei Spandau hat, wurde von Blau-Weiß-Trainer Juri Schewzow nach Berlin geholt. Der Trainer dolmetscht für seinen ehemaligen Nationalteamkollegen auch alle Gespräche. Sviridenko wollte „unbedingt in der deutschen Bundesliga Handball spielen“, doch wie es nach seiner aktiven Zeit weitergehen wird, weiß er nicht. Erst mal hat sich der 31jährige, der mit seiner Familie seit drei Monaten in der Stadt ist, auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet.

Billigeinkäufe ohne Erfolgsgarantie

Sehr gute Spieler sind allerdings nicht immer ein Garant für sportliche Erfolge. Die Idee, für weniger Geld erfahrene, nicht zu teure, aber dafür ältere Sportler einzukaufen, zahlt sich nicht unbedingt aus. Dem Fußball-Zweitligisten Tennis Borussia brachten seine osteuropäischen Spieler kein Glück, obwohl deren Können, zumindest auf dem Papier, außer Frage steht. Weder der ehemalige ungarische Nationalspieler Gyula Hajszan, noch der Tscheche Stanislav Levy, noch der aus Moskau stammende Michail Rousajew konnten verhindern, daß die Borussen unangefochten das Ende der Tabelle verteidigen und ihren Vorsprung von Spieltag zu Spieltag ausbauen. Der immer wahrscheinlicher werdende Abstieg aus der Zweiten Bundesliga in die Oberliga könnte den schnellen Abgang der drei Cracks bedeuten.

Wie schnell so eine Trennung vor sich gehen kann, zeigt der Fall des Andrej Tchebotarius. Nicht aus sportlichen, sondern aus Kostengründen hat man sich beim Bundesligisten Box-Ring Berlin von dem Boxer der Spitzenklasse getrennt. Der 22jährige aus St. Petersburg boxte mit großem Erfolg für Berlin und für die russische Nationalmannschaft. „Bubi“ Dieter vom Boxsportverband Berlin: „Menschlich und kämpferisch war der voll in Ordnung. Aber wir wollten dem eigenen Nachwuchs eine Chance geben. Das viele Geld war uns zu schade.“