Die Notwendigkeit des Vergleichens

■ "Autor, Macht, Staat": Zu einem Symposium der Adenauer-Stiftung in Bonn

Symposien sind schön. Man trifft alte Bekannte, plündert die Minibar im Hotelzimmer, prügelt sich am kalten Buffet und verstaut beim Abschlußessen übriggebliebene Leckereien diskret in Servietten und Plastikbeutel, ehe man wieder frohgemut die Heimfahrt antritt. Und, natürlich, die Reden, die gescheiten Referate und die stutzigen Nachfragen aus dem Off.

Voriges Wochenende hatte die Adenauer-Stiftung in Bonn unter dem Titel „Autor, Macht, Staat“ zu einer derartigen Veranstaltung über „Literatur und Politik in Deutschland“ geladen. Die Vertreter des letzteren wurden kaum vermißt, man blieb hübsch unter seinesgleichen. Hauptsache, sie hatten die Veranstaltung finanziert. Und alle TeilnehmerInnen nächtigten gut und wurden satt.

Dennoch bekam man mehr geboten als inner-intellektuelles Geschwätz. Zwar ließ der Vortrag eines Professor Giesen von der Universität Gießen (das war das Aufregendste daran) über den „Strukturtypus der Identität der Deutschen“ Schlimmstes befürchten, aber was man dann schließlich zu hören bekam, war lediglich eine brav-wertneutrale Aufzählung nationaler Vorstellungen deutscher Autoren; Relevanz und Stil des Vortrages überlagerten sich beruhigend.

Antonia Grunenbergs Vortrag über den Streit zwischen Thomas Mann und Walter von Molo war dann schon spannender – die Gegenwart ließ grüßen. Alles schon mal dagewesen: das späte Auftrumpfen der Mitläufer gegen die Opfer, der Vorwurf mangelnder Differenzierung, die Stilisierung des Dableibens als eigentlichen Heroismus, der Haß gegen die Westmanieren der Emigranten, der Snob aus Amerika, der Krawallsack aus Hamburg-Altona – damals wie heute wußte das gesunde Volksempfinden, wie man mit derlei Nestbeschmutzern umzugehen hat.

Überhaupt hatte man sehr viel Zeit zum Vergleich. Der Rechts- links-Tarnung entkleidet, sind die Mentalitäten nun pur zu genießen. Zum Beispiel Ernst Jünger und Christa Wolf. Die Vergleichsanalyse des Heidelberger Literaturwissenschaftlers Helmut Kiesel war mehr als eine bloß germanistische Tollerei und dokterte keineswegs nur an den immer wieder beschriebenen Symptomen von Jüngers Schützengraben-Diarrhö und Christa Wolfs Migräne herum. Er ging tiefer und entdeckte sowohl in „Kassandra“ und „Was bleibt“ als auch in Jüngers Tagebüchern und den „Marmorklippen“ die gleiche „schillernde Undeutlichkeit“, die Teilkritik bei fortdauernder Grundloyalität – zur „Nation“ beziehungsweise zum „Sozialismus“ – ermöglichte. In beiden Fällen, so Kiesel, wurde das Übel nicht analysiert und lokalisiert, sondern flugs auf die ganze Welt ausgedehnt – Relativierer mit Welterlösungsansprüchen. Die Rettung in die Zivilisations- und Technikkritik, die Apokalypsen-Sehnsucht, die priesterliche Gebärde und larmoyante Selbstbeobachtungen; es kam einiges zusammen, was diese „preziöse Ausharre- und Aushalteliteratur“ miteinander verbindet. Interessanterweise wurde in der nachfolgenden Diskussion vor allem Christa Wolf verteidigt, für den Wifflinger Schmetterlingstöter setzte sich erst gar niemand ein.

Hans Christoph Buchs mörderische Anekdoten verdeutlichten etwas vom Wahnsinn dieses Jahrhunderts: von dem konform-unbegabten Sowjetschriftsteller, der sich in einem Schrank versteckte, um das Verhör Ossip Mandelschtams in heimlicher Freude genießen zu können, über die Stalin- Begeisterung von Mussolinis Kriegsberichterstatter Curzio Malaparte und Fuentes' und Marquez' Castro-Rechtfertigungen bis zu „Heiner Müllers Sadomarxismus als spätbürgerliche Variante stalinistischer Selbstbestrafungsmanie“.

Dies rief den Berliner Literaturwissenschaftler Richard Herzinger auf den Plan, der ein kenntnisreiches Buch über Müllers Schweben zwischen Linksradikalismus und Rechtsextremismus geschrieben hat. Er wollte die Debatte auf die Gegenwart ausgedehnt wissen, auf das Schweigen zu Bosnien und das Plappern von Enzensberger, Strauß & Co., in dem er einen neuen Angriff auf den Universalismus sieht. Aber nicht doch! Der Schriftsteller Uwe Grüning, der in breitem Sächsisch die mangelnde Tiefe der DDR-Literatur tadelte, sprach sich doch nur gegen „flachen Rationalismus, fehlenden Willen zur Gegenwelt“ und gegen die „universale Unverbindlichkeit“ (und das gleich viermal) aus. Alles halb so schlimm.

Ansonsten gab es den stärksten Schlußapplaus für eine Publikums- entgegnung auf die als töricht empfundene Forderung eines Zuhörers nach mehr „wesenhafter, staatsbejahender Literatur“. Ob das in Zukunft reichen wird? Und: War damit auch ein neuer Staat gemeint? Marko Martin