: Zwischen Roßkur und Populismus
Pakistans neue Regierungschefin muß die Wirtschaftsrezepte ihres Vorgängers übernehmen ■ Von Bernard Imhasly
Delhi (taz) – „In Islamabad erwartet uns ein wirtschaftlicher Sumpf, das Resultat von Jahren der Mißwirtschaft und Kurzsichtigkeit“, schrieb Benazir Bhutto eine Woche vor den Parlamentswahlen in einem Zeitungsartikel. Nach ihrem Sieg vom 6. Oktober obliegt der neuen Premierministerin nun die Aufgabe, diesen Sumpf auszutrocknen. Denn niemand zweifelt daran, daß Frau Bhuttos drastische Wortwahl mehr als nur Wahlkampfrhetorik war.
Als die Regierung von Nawaz Sharif am 17. Juli zurücktrat, besaß das Land noch Devisenreserven in der Höhe von 180 Millionen Dollar, was nicht einmal die Einfuhren einer Woche deckte. Ihnen standen Verbindlichkeiten in der Höhe von 39 Milliarden Dollar gegenüber, knapp 80 Prozent des Bruttosozialprodukts. Allein die Bedienung der internen Schulden (21 Milliarden) umfaßt Zinsverpflichtungen von jährlich 2,7 Milliarden Dollar.
Um überhaupt noch Kredite zu erhalten, hatte die Regierung Sharif für drei Milliarden Dollar Teile der bevorstehenden Baumwoll- und Reisernte verpfänden müssen. Die Teuerung hatte die Zehnprozentgrenze überschritten, mehr Kapital floß aus Pakistan ab, als aus dem Ausland investiert wurde. Ausländische Geschäftsleute in Karachi meinten, daß nur die beträchtliche Schwarzwirtschaft – durch Milliardenumsätze im Drogengeschäft – die „offizielle“ Wirtschaft am Leben erhielt. Erste Gesundungschritte, die Nawaz Sharif mit durch eine Serie makroökonomischer Maßnahmen eingeleitet hatte, wurden durch kostspielige populistische Gesten ihres ökonomischen Gewinns teilweise wieder beraubt; allein der zollfreien Import Tausender „gelber Taxis“ kostete das Schatzamt 500 Millionen Dollar.
Kehrtwendung unter Aufsicht der Armee
Um das Land in dieser kritischen Situation während drei Monaten über die Runden zu bringen, fiel die Wahl der pakistanischen Armee, dem traditionellen Königsmacher im Land, auf Moeen Qureshi. Als langjähriger Mitarbeiter des Währungsfonds und der Weltbank – zuletzt im obersten Führungsgremium dieses Instituts – erkannte der Interimspremier sogleich den, in seinen Worten, „drohenden Kollaps in Pakistans Handels- und Finanzbeziehungen und die unmittelbare Gefahr einer Kosten- und Preisexplosion“. In der kurzen Zeitspanne, die ihm gewährt war, stellte er die Weichen für eine Reihe von Reformen, die in ihrer Härte von keiner gewählten Regierung getroffen worden wären. Dazu gehören nicht nur die Erhöhung der Preise für Erdölprodukte und staatliche Diensteistungen wie Wasser, Elektrizität und Verkehr, sondern in erster Linie die Einführung einer Steuer für landwirtschaftliche Einkommen und großen Landbesitz.
Obwohl der unmittelbare wirtschaftliche Gewinn dieser Maßnahme klein ist, wurde sie von den Medien als „historischer Schritt“ begrüßt, da sie eine der Wurzeln von Pakistans Unterentwicklung anfasse. Denn die Steuerfreiheit der landreichen Bauern hat eine sozial rückständige Feudalaristokratie am Leben erhalten, die den Hauptanteil der riesigen staatlichen Subventionen kassierte. Die wirklich Bedürftigen gingen leer aus, die Staatsschulden und die Inflation wuchsen an, da der Subventionssegen eher in importierten Luxus als in produktive Investitionen floß. Damit es nicht bei der bloßen Absichtserklärung blieb, sorgte Qureshi dafür, daß die Beschlüsse in einem „Policy Framework Paper“ festgeschrieben wurden. Dieses wiederum wurde Bestandteil des Abkommens über einen Strukturanpassungsplan, das die Regierung mit Weltbank und IWF abschloß; es sicherte dem Land Stützungskredite in Höhe von vier Milliarden Dollar zu.
Wahlversprechen können nicht eingelöst werden
Die neue Regierung hat nun, will sie dem Stigma der Zahlungsunfähigkeit entgehen, keine andere Wahl, als dieses Anpassungsprogramm zu honorieren. Und Benazir Bhutto weiß, daß die Armee die Notwendigkeit des harten wirtschaftlichen Kurses unterstützt, welchen der nun wieder in die USA verreiste ehemalige Premierminister Pakistan verschrieben hat. Insgesamt entspricht das Reformpaket Qureshis zudem dem Wahlmanifest der nun regierenden „Pakistan People's Party“ (PPP), das in Abwandlung des Parteikürzels selbstkritisch von der Notwendigkeit einer „Public-Private Partnership“ sprach, um das Land aus „dieser hartnäckigen Armut zu führen, in der wir die Nation eingekerkert haben“.
Doch während der Wahlkampagne haben die PPP-Kandidaten weiterhin wacker das Blaue vom staatlichen Subventionshimmel herab versprochen. Die Resultate der Urnengänge für die Nationalversammlung und die Provinzparlamente zeigten zudem, daß die PPP vor allem auf dem Land gewonnen hatte, und dies mehrheitlich mit Kandidaten, die der alten Feudalaristokratie entstammen. Selbst Benazir Bhutto hatte versprochen, sie würde, falls gewählt, die neue Landwirtschaftssteuer „einer Überprüfung unterziehen“. Eine der vier Beratergruppen, welche sie nun ins Leben gerufen hat, beschäftigt sich denn auch mit dieser Steuer. Beobachter sind allerdings der Meinung, daß ihr Spielraum klein ist. Das Steuergesetz, falls es nicht explizit vom Parlament aufgehoben wird, bleibt in Kraft, samt seiner Progressionsklausel, die ab nächstem Jahr eine Landbesitzsteuer und eine lokale Einkommensabgabe vorsieht. Auch was kostspielige Wahlgeschenke betrifft, blieben der Regierung die Hände gebunden, da sich ihre Vorgängerin auf eine Reduktion des staatlichen Defizits auf 5,4 Prozent für das laufende, dann 4 und 3 Prozent für die folgenden Jahre verpflichtet hat. Es hat den Anschein, daß Benazir Bhutto nichts anderes übrigbleibt, als ihre eigenen Absichten tatsächlich in die Tat umzusetzen.
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