■ Cash and Crash: Karl Marx in Hongkong
Vermögensberater in einer deutschen Bankfiliale könnten an ihrer Existenzberechtigung zweifeln. Sie versuchen, Wertpapiere ihrer Bank, meist Investmentfonds, zu verkaufen, die vielleicht fünf bis sieben Prozent Zinsen im Jahr einbringen. In Hongkong würde darüber nur milde gelächelt. Wer dort Anteile an einem der zahlreichen Investmentfonds kauft, kann seinen Einsatz mit ein bißchen Glück im Jahr verdoppeln. In den letzten zwölf Monaten wurden selbst nach Abzug aller Gebühren aus 10.000 etwa 20.000 Mark, mindestens aber 15.000 Mark, und das mit steigender Tendenz. Auf die letzten drei Jahre berechnet lag die Performance zwischen 100 bis 150 Prozent, und auf fünf Jahre bei bis zu über 300 Prozent.
Hinzu kommt: Steuern auf Kapitaleinkünfte sind in Hongkong unbekannt. Vor allem Fonds mit Anlageschwerpunkten Malaysia, Thailand, Singapur, Hongkong und Indonesien bringen zur Zeit die großen Gewinne. Drei Gründe fördern diesen Boom: Zum ersten befinden sich diese Staaten in einer starken Wachstumsphase, zum zweiten strömt das Geld aus den rezessionsgeplagten Niedringszinsländern Amerika, Europa und Japan in diese Märkte; und zum dritten wollen sich viele Anleger bereits jetzt die besten Ausgangsplätze sichern, wenn demnächst das große Chinageschäft losgehen sollte. Denn der Weg Chinas zur ökonomischen Supermacht des 21. Jahrhunderts steht noch bevor.
Wer aber glaubt, auf dem Hongkonger Parkett nur betuchte Geschäftsleute in Nadelstreifen anzutreffen, der irrt: Das Publikum ist gemischt wie in einer Lotto-Annahmestelle. Da stehen Frau Lee und Herr Kwok von nebenan, Omas und Opas neben ihren Enkeln, Studenten neben Arbeitern und Angestellten und kaufen Fonds, wie sie in Deutschland Lottoscheine kaufen – nur daß der Gewinn hier sicherer ist.
Als Hongkongs Gouverneur Patten letztes Jahr sein Amt antrat, stand der Hang Seng Index (der Hongkonger Aktienindex) bei zirka 5.700 Punkten. Heute steht er allen politischen Krisen zwischen Hongkong und der VR China zum Trotz bei knapp 10.000 Punkten. Das Vertrauen der Anleger scheint ungebrochen: Der Durchbruch der „Schallmauer“ von 10.000 wird in den nächsten Tagen erwartet. Wenn im letzten Jahr Peking gegenüber Hongkong politisch drohte, stürzten die Kurse noch klaftertief. Aber merkwürdigerweise lagen sie drei Tage später schon wieder höher: Vor allem die massiven Käufe von Anlegern aus der VR China, staatseigene wie private Firmen, trugen dazu bei. Denn auch die Parteikader wollen neuerdings verdienen. Ihr Clan würde es ihnen kaum verzeihen, wenn sie angesichts solcher großen Gewinnsprünge ihr Geld nicht in Hongkong anlegen würden. Schließlich, so meldete doch unlängst die Parteipresse, habe ja auch Karl Marx versucht, an der Börse Geld zu machen. Allerdings in London. Und ohne Erfolg. Werner Meißner
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