piwik no script img

Mit der Einheit hört Erinnern nicht auf

Zum Jahrestag der Pogromnacht von 1938 hielt Rita Süssmuth gestern ein entschiedenes Plädoyerfür das Erinnern / Gewerkschaften warnten vor zunehmender Fremdenfeindlichkeit  ■ Aus Bonn Hans Monath

Am 55. Jahrestag der Pogrome vom 9. November 1938 haben die Abgeordneten des Bundestags gestern dem entschiedenen Plädoyer von Rita Süssmuth Beifall gespendet, die Mut zum Erinnern an die deutschen Verbrechen der Nazizeit einforderte. Morgen müssen die Abgeordneten zeigen, ob die Verantwortung für die deutsche Geschichte auch zum Handeln verpflichtet. Dann nämlich behandelt das Parlament in Bonn einen Antrag, in dem es um die finanzielle Entschädigung jüdischer Überlebender des nationalsozialistischen Terrors in den baltischen Staaten geht.

Zum Jahrestag der „Reichskristallnacht“ warnte die Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth gestern davor, einen Schlußstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, und rief zum Widerstand gegen Fremdenfeindlichkeit auf. „Mit der wiedererlangten Einheit der Deutschen hört das Erinnern nicht auf“, erklärte sie vor dem Bundestag. Auch die junge Generation, die keine Schuld an den NS-Verbrechen treffe, könne sich von der Geschichte nicht lossagen.

Die Politikerin erinnerte an Anschläge auf Asylbewerberheime und Wohnungen von Ausländern, an ausländerfeindliche Parolen, öffentliche Beleidigungen jüdischer Bürger, Schändungen jüdischer Friedhöfe und KZ-Gedenkstätten. Seit Anfang 1991 seien in der Bundesrepublik bei mehr als 4.500 rechtsextremistischen Gewalttaten 26 Menschen ermordet und 1.800 verletzt worden. Die Menschen in der DDR seien 1989 „mit großem Mut“ gegen das SED-Regime auf die Straße gegangen. Genau dieser Mut sei nötig, „um uns gemeinsam unserer Geschichte zu stellen und nicht zu schweigen, wenn es gilt, in ganz Deutschland Menschenwürde und Demokratie zu verteidigen“.

Vor Antisemitismus, Fremdenhaß und Gewalt warnten anläßlich des gestrigen Jahrestages auch Politiker, Gewerkschaften und Verbände. Dem Rechtsradikalismus der 90er Jahre zu widerstehen sei „erste Bürgerpflicht“, erklärte der DGB. Der 9. November werde immer ein Tag der Trauer und der Schuld bleiben, sagtedie Präsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte, Alisa Fuss, im Deutschlandfunk. Mit Sorge sehe sie, daß der „Geist der Reichspogromnacht“ sich auch 55 Jahre danach in Deutschland wieder breitmache.

Der Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte erinnerte aus aktuellem Anlaß gestern daran, daß der Haushaltsausschuß des Bundestages am vergangenen Dienstag einen Antrag abgelehnt hatte, nach dem die Arbeit des Kölner Verbandes im kommenden Jahr durch einen Bundeszuschuß abgesichert werden sollte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen