Der teure Schlamm der Zivilisation

■ Die Reststoffe aus der Abwasserreinigung sollen nicht mehr teuer deponiert, sondern in einer Anlage namens VERA verbrannt werden     Von Vera Stadie

Dr. Werner Marnette ist ungehalten. In einem Schreiben an das Hamburger Amt für Stadtentwässerung vom 13. Oktober, das der taz vorliegt, beklagt das Vorstandsmitglied der Norddeutschen Affinerie (NA) sich über behördliche Willkür. Er habe davon Kenntnis erhalten, „daß nach Auffassung der Behörde eine Klärschlammverbrennungsanlage am Standort der NA nicht genehmigungsfähig sein soll“. Daraufhin „hatten wir uns die Frage stellen müssen, ob die NA im Kreise der Bewerber tatsächlich gleich behandelt würde“.

Die Kupferhütte auf der Veddel will in ein weiteres, vermeintlich lukratives Geschäft einsteigen: den Bau und Betrieb einer Verbrennungsanlage für schwermetallhaltigen Klärschlamm. Die technischen Vorzüge seines Arbeitgebers gegenüber den Mitbewerbern preist NA-Umweltbeauftragter Dr. Hans-Joachim Felten an: Eine von der NA betriebene Klärschlamm-Verbrennungsanlage würde „praktisch nichts an Umweltbelastungen bringen“, die Emissionen lägen „nahe an Null“.

Doch nicht nur ökologische Fragen spielen eine Rolle bei der Suche der amtlichen Stadtentwässerer nach einem privaten Betreiber. Natürlich geht es auch ums Geld, denn was hinten rauskommt bei der Abwasserreinigung, kommt Hamburg teuer zu stehen. Der Klärschlamm trieb jetzt die Sielgebühren in die Höhe. Den Anstieg um 9,2 Prozent im kommenden Jahr begründete der Senat vorgestern mit den stark gestiegenen Deponiekosten in Schönberg für die festen Reste aus dem Klärwerk.

Zwar hat die seit 1992 betriebene KETA, die Klärschlammentwässerungs- und Trocknungsanlage, die Mengen, die deponiert werden müssen „gewaltig reduziert“, so Gerd Eich, Sprecher des Amtes für Stadtentwässerung – von 250.000 Tonnen im Jahr auf 80.000 Tonnen. Aber aufgrund der „exorbitant“ gestiegenen Ablagerungskosten empfahlen vom Senat beauftragte Gutachter schon vor drei Jahren im „Strukturplan Abwasserentsorgung und Gewässerschutz“ eine Verbrennungsanlage. Dadurch würde sich die abzulagernde Rückstandsmenge noch einmal auf etwa 25.000 Tonnen verringern.

Die Klärschlammverbrennungsanlage namens VERA, die in Zukunft das Stadtsäckel entlasten soll, gibt es bisher aber nur auf dem Papier. „VERA befindet sich im Schwebezustand“, bestätigt Gerd Eich. Das Amt hat per Ausschreibung nach einem privaten Betreiber gefahndet und einige Angebote erhalten.

Eine umweltfreundliche Verbrennung des giftigen Drecks aus dem Klärwerk, wie die NA sie verheißt, wäre schon fast ein Kunststück. Denn in der Schlammtrockenmasse konzentrieren sich Schadstoffe aus dem Abwasser, Schwermetalle und andere Gifte. Die Kloake enthält beileibe nicht nur, was ins Klosett gehört. Industriebetriebe leiten ihre Abwässer in die Kanalisation ein, aus den Haushalten kommt ein Cocktail von Wasch- und Putzmitteln, von der Straße schwemmt der Regen den bleihaltigen Staub in die Siele: „Im Klärschlamm haben sie die ganze Zivilisation“, meint Felten. Zwar verkündete das Amt für Stadtentwässerung 1986 zum 25-jährigen Jubiläum des Klärwerks Köhlbrandhöft, „langfristig wird eine Verwertung des Klärschlammes angestrebt“, und dafür müsse der Gehalt der ins Abwasser fließenden Schadstoffe drastisch abnehmen. Diese Hoffnung hat man bei den Entwässerern wohl aufgegeben. Schon aus Kostengründen sei es „sinnvoll, das Zeug zu verbrennen“ betont Gerd Eich, „und günstiger wird es in jedem Fall“. Wieviele VERA-Bewerber es gibt, und wer von ihnen den Zuschlag bekommt, will er aber nicht verraten. Hans-Joachim Felten ist weiter pessimistisch. Schuld an der ungerechten Behandlung der NA sei, so vermutet er, das trotz aller Bemühungen der vergangenen Jahre noch immer „schlechte Image der NA als Schwermetall-Emittent“.