Offen für Kunst-Geschäfte

■ Der bremische Mittelstand entdeckt seine Schaufenster als Stätte des Kultursponsoring / „Fotomeile“ am Wall

Aktzeichungen im Schuhhaus Brand: „Manche Kunden sind schon etwas pikiert“Foto: Holzapfel

„Die älteren Damen sind da natürlich etwas pikiert.“ Nackte Frauen im Schaufenster — sowas, sagt die Verkäuferin Marie- Luise Hüneke-Wolter, seien eben nicht alle KundInnen des Schuhhauses Brand gewohnt. Auch, wenn es sich um Aktzeichnungen handelt. Dabei stellt die Fa. Brand gar nicht zum ersten Mal Kunst zwischen ihren Angebotsschuhen aus. Und der Laden im Steintorviertel ist auch nicht der einzige, der das Schaufenster als gewissermaßen natürlichen Lebens-und Ausstellungsraum der Kunst entdeckt hat. Was dabei herauskommt, wenn Kunst und Geschäft bzw. gehobener Mittelstand zusammenkommen, demonstriert derzeit u.a. eine „Fotomeile“, welche die Flaneure den halben Wall hinauf begleitet.

hierhin bitte

das Foto von den

Bildern im

Schuhladen

So eine Präsentation ist eben „viel praxisnäher“ als eine Ausstellung in irgendeiner Galerie, findet Peter Lorenschat vom „Wohnstudio Extra“ am Wall. „Vernissagen sind doch Insiderveranstaltungen“. Man stelle sich hingegen die Passantenströme am Wall vor. Und: „Mit Kunst kriege ich natürlich auch neues Publikum ins Haus“, sagt Lorenschat.

Die Aussicht auf neue, kunstsinnige Käuferschichten ist allerdings nicht der erste Beweggrund für die Geschäftsleute, sich neuerdings der herumstreunenden Kunst anzunehmen. Lorenschat z.B. ist selbst Kunstsammler. Als solcher mußte er feststellen, „daß es einen irrsinnigen Bedarf an Ausstellungsmöglichkeiten gibt“. Kunststudenten, Designer, unbekannte und

verkannte Maler und Grafiker schmücken seither seine Filiale in Braunschweig. Nun will der Neubremer auch sein neues Geschäft am Wall mit Kunst aufmöbeln.

Was dann im einzelnen zwischen den exquisiten Couchtischen und Designer-Telefontischchen herumhängt, das entscheiden die Geschäftsleute mit größtmöglicher Offenheit bzw. Gelassenheit. Im Schuhhaus Brand entscheidet die komplette Belegschaft, d.h. sieben MitarbeiterInnen inkl. des kunstsinnigen Geschäftsführers, über die angelieferten Kunstmappen.

„Wir sind da schon mal unterschiedlicher Meinung“, sagt Frau Hüneke-Wolter. Im Streit der Geschmäcker einigte man sich jetzt auf die Aktskizzen einer angehenden Bremer Grafikstudentin. Auch Lorenschat spricht sich von jeglicher Sachkenntnis frei. Die Kunst müsse weder sonderlich dekorativ sein noch sonstwelchen Kriterien gehorchen: “Hauptsache, es muß mir gefallen.“ Ansonsten „weise ich den Künstlern Flächen zu, und dann geben die Gas.“

Den Künstlern, den Galeristengeschädigten, ist solche Offenheit natürlich die reine Freude. Der Fotograf Jürgen Sieker z.B. suchte für sein neues Fotobuch einen finanzstarken Partner. Bei der Werbegemeinschaft am Wall fand er gleich die Richtigen: Seine Prominentenporträts („Famous Faces“) fanden in der Runde der 14 Geschäftsleute solchen Anklang, daß neben dem Bildband nun noch die „Fotomeile“ heraussprang.

Die kunstvoll inszenierten Charakterköpfe von Kim Wilde, Willy Brandt und Paul Kuhn finden sich nun zwischen exklusiven Armbanduhren und Bettbezügen wieder. Sieker hat da keine Vorurteile gegen diese Art der Präsentation: „Fotografie erreicht ja sowieso oft Leute, die nicht ins Museum gehen.“

Was sich die einzelnen Läden ihr Engagement kosten lassen, bleibt allerdings Geschäftsgeheimnis. Der große Topf der Werbegemeinschaft wird für solche Vorhaben ausgeschöpft wie schon bei der skulpturalen 92er „Kunstmeile“ auf dem Trottoir. Daß es sich irgendwie auszahlt, davon gehen die mittelständischen Sponsoren freilich schon aus. Zumindest dem Image soll die Kunst zugute kommen.

„Wir sind ja nicht nur diese knallharten Geschäftsleute“, sagt Lorenschat, „sondern wir arbeiten auch unheimlich emotionell.“ Das soll sich auch auf die Kundschaft übertragen. Und gerade dann, wenn sich sich die Leute über die Schaufensterkunst erregen: „Hauptsache, man spricht übers Geschäft.“

Letztlich sieht Lorenschat seine private Passion sogar als Dienst an der Öffentlichkeit. In

...und dann geben die Gas!“

einer Zeit, wo die Gemeinden weniger Geld für die hauseigene Kultur übrig hätten, müßten eben „die Händler vor Ort einhaken, die ein Interesse am Standort Bremen haben.“

Das ist schön gesagt. Wahr ist aber auch, daß das geschäftsmäßige Kunstsponsering nebenher seine praktischen Seiten hat. Bei Fa. Brand hat man längst erkannt: Wenn Kunst im Schaufenster prangt, „brauchen wir uns auch weniger Gedanken über die Dekoration machen“. Deshalb hängen die Aktbilder erstmal bis Ende November im Schaukasten — „dann kommt die Weihnachtsdeko 'rein.“ Thomas Wolff