Feminismus braucht Fortbildung

■ betr.: Frauenberichterstattung in der taz

Die in der taz veröffentlichte titanic-Anzeige vom 29. Oktober 1993 („2 gute Gründe für Hamm- Brücher“) gibt Anlaß zu ein paar längst fälligen Bemerkungen über Eure sogenannte Frauenberichterstattung: Die Mischung aus Inkompetenz, Beliebigkeit und Antifeminismus wird immer unverdaulicher. Hier nur zwei Beispiele aus jüngster Zeit:

1. Die Hamm-Brücher-Initiative

Ende September wurde ein Aufruf zur Unterstützung der Wahl von Hildegard Hamm-Brücher zur Bundespräsidentin publik – unterzeichnet von zirka 50 mehr oder minder namhaften Frauen aus den Bereichen Politik, Kunst, Wissenschaft, Medien. Diese Initiative kam zwar mit Zustimmung von Frau Hamm-Brücher, aber völlig unabhängig von der FDP zustande. Und sie stieß bei vielen und sehr unterschiedlichen Frauen (und Männern) in diesem Land auf spontane Zustimmung. Wir hatten fest mit einer angemessenen Berichterstattung in der taz gerechnet und rechtzeitig auf die Kampagne hingewiesen. Aufgegriffen wurde das Thema zunächst in einer Kurzmeldung, Tage später erst folgte ein lapidarer Artikel auf Seite 1 und ein Kommentar („Zu spät und zu flach“, taz vom 28.9.93), der offenbar ohne ausreichendes Hintergrundwissen die Initiative hart kritisierte.

Bemühungen, einen Gegenkommentar bzw. eine Debatte darüber in der taz unterzubringen, scheiterten. Wir müssen also vermuten, daß Ihr ein Interesse hattet, diese Kampagne abzubügeln, anstatt zumindest fair darüber zu berichten. Seitdem ist das Thema auch aus dem Blatt verschwunden. Statt dessen kapriziert Ihr Euch auf die Anti-Heitmann-Kampagne.

2. Der sexuelle Mißbrauch und sein Mißbrauch

Diesem Thema habt Ihr in den vergangenen Wochen erheblich Raum gegeben, ohne daß dabei eine wirkliche Debatte zustandegekommen ist. Die Positionen von Katharina Rutschky sind zwar immer noch provokant, aber unproduktiv – kalter Kaffee. Die Diskussionen in kritisch-feministischen Kreisen sind hierzu längst weiter. Wir empfehlen Euch etwa den Vortrag von Birgit Rommelspacher, gehalten auf dem Kongreß „Zehn Jahre Wildwasser“, Anfang Oktober in Berlin (vgl. taz vom 2.10.93 „Wir glauben den Mädchen bedingungslos“). Warum schickt Ihr zu solchen Veranstaltungen keine Fachredakteurin oder -journalistin, die kompetent ist für dieses Thema?

Feminismus braucht Fortbildung, und es stünde der taz gut an, sich einzuhören oder einzulesen in das, was frauenpolitischer/feministischer Sachverstand in den letzten Jahren und Monaten entwickelt hat und zur Debatte stellt. Es geht eben nicht nur um den Paragraph 218 oder um den sexuellen Mißbrauch, sondern um sehr viel mehr Themenfelder. Es geht um den Umbau der „civil society“, um Nationalismus und Militarismus, um die Neuorganisierung der Arbeit, um Zeitökonomie, um Geschlechterdemokratie u.v.m. [...]

Feminismus, Frauenpolitik, Frauenbewegung – ist doch alles Schnee von gestern, sterbenslangweilig, tot? Ihr irrt. Das Geschlechterverhältnis wird sich – unter veränderten Umständen – wieder politisieren und verschärfen. Es wäre schade, wenn die taz aus Ignoranz oder Borniertheit diese Entwicklung völlig verschlafen würde. [...] Halina Bendkowski, feministische Männerforscherin, Berlin; Gisela Anna Erler, Kinderbüro München; Adrienne Goehler, Präsidentin der Hochschule für bildende Künste, Hamburg; Ulrike Helwerth, freie Journalistin, Berlin; Dörthe Jung, Büro für frauenpolitische Forschung und Beratung, Frankfurt; Magdalena Kemper, Redakteurin (SFB), Berlin; Sibyll Klotz, Mitglied des Abgeordnetenhauses, Berlin; Irene Stoehr, FrauenfrAktion, Berlin; Gisela Wülfing, Öffentlichkeitsreferentin im hessischen Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Wiesbaden