Was ist passiert?

Geschlechterkampf und Mysterienspiel auf dem Schlachtfeld Europa. Ein Gespräch mit Peter Greenaway über „Das Wunder von MÛcon“  ■ Von Mariam Niroumand

taz: Im „Kontrakt des Zeichners“ gab es zwischen den Geschlechtern immerhin noch eine Art Vertragsbeziehung; die ist inzwischen aber irgendwie abhanden gekommen. What happened, Mr. Greenaway?

Greenaway: Ich weiß nicht. Auch damals war der Kontrakt von einem erheblichen Zynismus ersonnen und ausgeführt; es gab einen Vertrag zwischen einem Mann und einer Frau, die sich darauf geeinigt hatten, einen Erben zu zeugen; also da ging es glasklar um Geld. Aber da gab es andere Verträge, den zwischen Kunst und Macht, zwischen Geld und Sex; das ganze bürgerliche System ist doch ein Gebäude von Verträgen. Das ist eine sehr bequeme Art, unser Leben zu organisieren. Für mich hat das moralische System keine inhärente Bedeutung, es ist nur eine Hilfskonstruktion, mit der wir die Zivilisation organisieren...

Ich würde diese Hilfskonstruktion nicht missen wollen...

Naja, aber sie bricht doch zusammen, oder? Schauen Sie sich doch die Zehn Gebote an, wird irgendeines davon beachtet? Denken Sie nur: „Du sollst nicht Ehebruch begehen“! Das ist doch ein Witz! Diese moralischen Systeme sind doch, wenn man genau hinschaut, hohl. In meinem Kino geht es darum, diese Situation zu exponieren: Daß es nicht die „Guten“ sind, die belohnt werden, daß die „Bösen“ selten bestraft und die Unschuldigen immer mißbraucht werden. Letzteres sieht man am besten am Verhalten der Katholiken in der „Dritten Welt“ oder unserem Verhalten dem Planeten gegenüber.

Nicht nur Sie, auch Kieslowski, Wenders und andere europäische Filmemacher scheinen plötzlich einen starken Hang zum Religiösen zu entwickeln. Ist das eine zufällige Koinzidenz, oder ist da was im Busche?

Diese Dinge sind nie reine Zufälle, da spielen Resonanzen eine Rolle, es liegt was in der Luft. Ich nehme an, daß der Zusammenbruch des Kommunismus uns alle dazu gebracht hat, die Situation zu reevaluieren. Man muß die Spannung neu ausleuchten, die zwischen Spiritualität und Materialismus, Emotionalität und Intellektualität besteht. Aber ich glaube nicht, daß ich einen explizit religiösen Film gemacht habe. Es ist sehr leicht, antikatholisch zu sein, weil das ganze System so verkommen ist. Mein Film behandelt die Erniedrigung von Frauen, die seit zweitausend Jahren zur katholischen Kirche gehört. Die religiösen Probleme sind alle bereits im 19. Jahrhundert behandelt worden. Aber für mich, der ich eine Filmtrilogie über das 17. Jahrhundert mache – über Barock, die Gegenreformation, die Haltungen zum Exzeß –, für mich ist natürlich der römische Katholizismus das Establishment. Man kann aber anhand des Katholizismus auch über den Kommunismus reden, eins der großen Machtsysteme des 20. Jahrhunderts. In beiden Fällen hat man es mit einem Establishment zu tun, das wild entschlossen ist, den Außenseiter zu vernichten. In meinem Fall ist der Außenseiter eine Frau, eine junge Frau, die sich in gewisser Weise die Machtstrukturen des Gebärens und der Jungfräulichkeit zunutze macht, um das System zum Tanzen zu bringen. Deshalb muß sie gedemütigt werden, wie in einem sowjetischen Schauprozeß. Die Unterwerfung wird nötig, die Frau wird institutionalisiert, die gesamte Gemeinde in ihre Bestrafung involviert, so daß alle schuldig werden.

So nahe wie mit „Das Wunder von MÛcon“ sind Sie dem Theater noch nie gewesen, oder?

Das stimmt wohl. Aber ich glaube, die meisten meiner Filme sind theatralisch in der Beziehung, daß sie ihre Künstlichkeit vor sich her tragen, daß sie einem immer wieder sagen: Schau, hier wird dir etwas gezeigt. Es ist nur ein Film, kein Fenster zur Welt.

Aber dieser hat doch ganz bewußt mit der Form der „Miracle Plays“ gespielt, des Volkstheaters, in dem Wunder und Wundertäter in großen Spektakeln dem Volk zur Erbauung präsentiert wurden.

Das stimmt. Aber als es die ursprünglichen „Miracle Plays“ gab, im ersten Millennium des Chri

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