: Sushi-Häppchen
„Die Wiege der Sonne“ führt eine noch geheime Armani-Winterkollektion vor! ■ Von Karl Wegmann
Zuerst die schlechte Nachricht: Tatjana Patitz spielt mit. Jetzt die gute: Sie spielt die Leiche! Schon Wilhelm Busch wußte: „Hinderlich wie überall ist der eigne Todesfall.“ Also machen sich die fiesen Japaner daran, das Hindernis Frau Patitz einzuebnen. Die liegt nämlich mausetot und offensichtlich geschändet mitten auf dem Konferenztisch im 46. Stock des neuen Nakamoto-Wolkenkratzers. Peinlich. Besonders da ein paar Stockwerke tiefer eine Riesenfete mit jeder Menge Prominenz stattfindet, auf der sich die wirtschaftlichen Invasoren aus dem Fernen Osten selbst feiern. Bevor irgendein gaijin blöde Fragen stellt, hat der hauseigene Nakamoto-Sicherheitsdienst schon alle Fäden gesponnen.
Aber die Japaner haben leider versäumt, neben den ganzen Software-Firmen, Golfplätzen und Filmstudios auch das Los Angeles Police Department aufzukaufen. So bekommen sie es jetzt mit dem schwarzen Polizeidetektiv Web Smith (Wesley Snipes) zu tun. Schlimmer noch: Smith wird ein Berater zur Seite gestellt. John Connor (Sean Connery), ein Ex- Cop, hat selbst jahrelang in Japan gelebt und weiß genau, wie und wann man sich zu verbeugen hat. Connor und Smith sind sempai und kohai, Meister und Schüler, und jede Autofahrt wird genutzt, um in klassischen Lehrdialogen das japanische Wesen zu erkunden. Die tote Tatjana, so ermitteln die beiden recht schnell, war nur das Bauernopfer in einem größeren Spiel, in dem es um die Erpressung eines Senators und – selbstverständlich – die Übernahme einer weiteren Firma geht.
Michael Crichtons Roman „Rising Sun“ (deutsch „Nippon Connection“) aus dem Philip Kaufman den Film „Die Wiege der Sonne“ machte, avancierte letztes Jahr in den USA zur Bibel der Japan- Basher. Es war die Zeit, als Präsident Bush, der als Bittsteller nach Nippon gereist war, bei einem Bankett seine Gastgeber vollkotzte und dann zu Boden sank. Der japanische Premier revanchierte sich, als er nach einem US- Besuch von der „fehlenden Arbeitsmoral der Amerikaner“ sprach. Andere Parlamentarier setzten noch eins drauf und schmähten die „faulen und ungebildeten Arbeiter“ der westlichen Supermacht. Da kam Crichtons Thriller gerade recht. Der Autor, Harvard-Absolvent, Bestsellerschreiber („Jurassic Park“) und Filmregisseur („Westworld“), setzte voll auf Vorurteile und mischte so geschickt wie bedenkenlos Fakten und Fiktion. In seiner Geschichte haben japanische Geheimlogen, Chip-Produzenten und High-Tech-Piraten die amerikanische Wirtschaft im Würgegriff. In John McTiernans „Stirb langsam“ durfte der japanische Boß noch scherzhaft behaupten: „Pearl Harbor hat nicht funktioniert, jetzt bombardieren wir euch mit Videorecordern.“ Bei Crichton gibt's nichts mehr zu lachen, da haben die Japaner mit Schmiergeldern und Erpressungen unsichtbare Netze geknüpft, in denen schon jeder zweite US-Politiker zappelt. Gleichzeitig macht der Autor aber auch keinen Hehl aus seiner Verehrung für das Reich der aufgehenden Sonne. „In Tokio sind die Züge immer pünktlich“, läßt er John Connor sagen. „Es gehen keine Taschen verloren. Verabredungen werden eingehalten. Die Japaner sind gebildet, kompetent und motiviert. Da gibt es keine Schlamperei.“
Aus diesem Stoff hätte sich mit Leichtigkeit ein ganz böser Film machen lassen, eine Analyse amerikanischer Ängste, ähnlich wie „Falling Down“. Doch Philip Kaufman traute sich nicht. „Die Wiege der Sonne“ ist ein simples whodunit: Ein Täter wird so überdeutlich präsentiert und ein bißchen gejagt, daß jeder sofort kapiert: der kann es auf keinen Fall gewesen sein. In den letzten zehn Minuten wird dann der wahre Bösewicht entlarvt. Das war's. Ein amerikanischer Krimi mit Japanern, der keinem weh tut, klinisch rein und sauber. Während Connor seinem Schüler im Buch erklärt, daß der Japaner auch komplizierte Formen des Sex zu genießen versteht, weil er das puritanische Konzept der Sünde nicht kennt, zeigt Kaufman den vermeintlichen Mörder, wie er Sushi-Häppchen von nackten Frauenkörpern mampft. Und vom Model Tatjana Patitz gibt's, wie zu erwarten, meterweise Bein und eine Brust zu sehen.
Ansonsten hat sich Philip Kaufman ganz auf die Klamotten seiner Hauptdarsteller konzentriert und einen überlangen Armani-Reklamespot gedreht. Georgio Armani, der zunächst nur als Berater für John Connors Garderobe fungieren sollte, machte das Angebot, die noch unter Verschluß befindlichen Kreationen der nächsten Saison zu verwenden. Alle Beteiligten waren angeblich ganz begeistert von der Chance, eine noch nicht öffentlich vorgestellte Kollektion des Modeschöpfers spazierenzutragen. Kaufman hat die Kleiderständer dann alle schön abfilmen lassen, mit ein bißchen Farbsymbolik – hier ein knallrotes Hemd, dort ein rabenschwarzer Anzug – herumgealbert und Geschichte, Figuren und Spannung völlig aus den Augen verloren. Der einzige, der noch an die Romanvorlage erinnert, ist Harvey Keitel – er spielt die gedemütigte Volksseele. In den ersten Minuten des Films darf er als gereizter Bulle Tom Graham ein paar rassistische Stammtischsprüche ablassen, sich über fernöstlichen Geschmack lustig machen und die Nakamoto-Manager beleidigen. Ein echter Japan-Basher eben, wie es sie in Amerika laut Crichton massenhaft, laut Kaufman anscheinend nur vereinzelt und dann auch nur fünf Minuten lang gibt.
Philip Kaufman hatte Angst vor den Kritikern. Denn einige Rezensenten hatten Crichton Rassismus vorgeworfen. Dem wollte sich der Regisseur keinesfalls aussetzen und drehte statt eines Thrillers lieber einen Kostümfilm. Er hätte vielleicht einmal einen Blick auf seinen Kollegen Ridley Scott und dessen Film „Black Rain“ (1989) werfen sollen. Scott ließ Michael Douglas und Andy Garcia im fernen Osaka brutale Yakuza, die japanische Version der Mafiosi, jagen und wurde dafür prompt von amerikanischen und europäischen Kritikern des Rassismus bezichtigt. Als „Black Rain“ dann in Japan lief, waren die dortigen Kritiker voll des Lobes für die Realitätsnähe des Films.
„Die Wiege der Sonne“ von Philip Kaufman. Mit Sean Connery, Wesley Snipes, Harvey Keitel, Cary- Hiroyuki Tagawa u.a.; USA 1993, 126 Min.
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