Eine Arbeit für zwei?

Angst vor Arbeitslosigkeit: Debatte über neue Gesellschaftsformen in Frankreich  ■ Aus Paris Bettina Kaps

„Ich bin bereit, meine Arbeitszeit zu verkürzen, etwas weniger zu verdienen, meinen Sessel und meinen Füller zu verleihen“, ruft die leitende Angestellte provozierend in den Saal. Die Frau antwortet auf einen Firmenchef, der genau die gegensätzliche Position vertritt: Kein Vorgesetzter, so meint er, würde freiwillig einen Kollegen an seinen Schreibtisch und seine Schubladen heranlassen. Job-sharing, davon ist dieser Mann überzeugt, führt bei höheren Posten nur zu Kämpfen um Territorien und Kompetenzen.

Solch Debatten finden derzeit überall in Frankreich statt. An diesem Abend hatte der liberalkonservative Abgeordnete Gilles de Robien (UDF) in Paris eingeladen, über Job-sharing zu diskutieren. Gekommen waren rund 600 Menschen: Firmenchefs, Angestellte, Gewerkschafter, StudentInnen, einige Arbeitslose. Sie wollten mehr wissen über die einschneidenden Vorschläge, mit denen der Abgeordnete seit Anfang Oktober durch die französischen Städte zieht und die er als Gesetz verabschiedet sehen möchte. 165 Parlamentarier, darunter UDF-Fraktionschef Charles Millon und Ex- Premierminister Raymond Barre, konnte de Robien bereits von der Wichtigkeit seines Anliegens überzeugen: Sie fordern, daß jetzt eine parlamentarische Kommission eingesetzt wird, um die Vorschläge konkret zu untersuchen.

Die meisten Zuhörer in der Pariser Mutualité sind froh, daß diese Debatte endlich in Gang kommt. „Das ist ein ganz wichtiges Thema“, sagt der Bankangestellte François Fichot, „schließlich geht es um die Frage, welche Gesellschaftsform wir wählen. Wir sind alle persönlich betroffen, heute hat doch jeder einen Freund oder Verwandten, der arbeitslos ist.“

Gilles de Robien verficht seine Vorschläge mit dem Eifer eines Missionars. „Gewiß“, sagt er, „Job-sharing hat für uns Liberale einen sozialistischen Beiklang. Aber es kann nicht so weitergehen, die Zunahme der Arbeitslosigkeit ist unerträglich.“ Sein Begleiter, der Ingenieur und Berater Pierre Larrouturou, entwickelt konkrete Vorschläge, die weit über das hinausgehen, was der französische Senat gerade beschlossen hat. Während sich die Senatoren nur mühsam zu einem begrenzten Experiment durchringen konnten (32 Stunden auf freiwilliger Basis, der Staat senkt Sozialabgaben nur für drei Jahre), sieht sein Plan so aus: Alle Firmen sollen verpflichtet werden, innerhalb von zwei Jahren die Viertagewoche einzuführen, was einer Arbeitszeit von 32 beziehungsweise 33 Stunden entspricht. Die Arbeitszeit wird also um 15 Prozent gesenkt, das Gehalt jedoch nur um durchschnittlich fünf Prozent; wer nur den Mindestlohn verdient, erhält eine Kompensation. Der Staat senkt seinerseits die Sozialabgaben der Unternehmen um fast neun Prozent, dafür verpflichtet sich der Arbeitgeber, zehn Prozent neue Stellen zu schaffen. Unterm Strich, so lautet das Kalkül, könnten so mindestens 1,6, vielleicht sogar 2 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden. Den Firmen entstünden keine neuen Kosten, und auch der Staat würde sparen, weil die Arbeitslosigkeit ja erheblich vermindert würde.

De Robien, der auch Bürgermeister der nordfranzösischen Stadt Amiens ist, will mit gutem Beispiel vorangehen: „Wenn das Gesetz durchkommt, dann kann ich in meiner Stadt auf der Stelle 350 neue Stellen schaffen.“ Der Chef einer Transportfirma läßt sich von diesem Rechenexempel nicht beeindrucken: „Ich kann einen LKW selbst nach acht Stunden nicht anhalten, um den Fahrer auszutauschen. Ich kann einen Ferntransport auch nicht nach vier Tagen unterbrechen. Die Lieferungen können nicht warten, weil die Gesetze das vorschreiben.“ Sein Nachbar, patron einer Reinigungsfirma mit 900 Angestellten, ist ebenfalls skeptisch: Er befürchtet, daß ein solches Gesetz ihm eine zusätzliche Flut an Verwaltungsarbeiten aufhalsen wird. Doch im Notfall, so geben beide Unternehmer zu, könnten sie sich einem solchen Gesetz schon anpassen.

Zweieinhalb Stunden folgte das Publikum gebannt den Vorschlägen des Abgeordneten und des Ingenieurs, äußerte seine Bedenken und seine Fragen. Jetzt, es ist schon nach 23 Uhr, kommt der Test: „Ist Arbeitsteilung eine gute Lösung, um Arbeitsplätze zu schaffen? Wenn Sie das glauben, dann heben Sie bitte die grüne Karte, wenn Sie anderer Ansicht sind, die rote.“ Und wer, so lautet die zweite Frage, ist bereit, persönlich einen Lohnverzicht von 5 Prozent und einen freien Arbeitstag zu akzeptieren, um neue Arbeitsplätze zu schaffen? Auf beide Fragen geben die 600 Zuhörer eine klare Antwort: Die rund 90 roten Nein-Zettel gehen eindeutig in der Masse der grünen Jastimmen unter. Die Franzosen, die an diesem Abend zur Debatte über die gesetzliche Einführung der Viertagewoche gekommen sind, wollen den gesellschaftlichen Wandel wagen. Ob es jemals soweit kommt, räumt auch de Robien ein, ist heute unmöglich abzusehen: der Volksentscheid über Frankreichs Zukunft fällt bei den Präsidentschaftswahlen, und die stehen erst in 18 Monaten an.