Die Niederlande wollen Illegale ausbilden

■ Orientierung an den Bedürfnissen der Herkuftsländer / Freiwilliges Programm

Amsterdam (taz) – In einem bisher einzigartigen Versuch wollen die Niederlande ab dem kommenden Jahr illegal im Land lebenden Ausländern eine Ausbildung anbieten. 110 Ghanaer und Somalier beginnen im Januar in Amsterdam eine etwa einjährige Ausbildung, von der die ersten drei Monate in den Niederlanden und der Rest im Herkunftsland betreut werden soll. Mit diesem Pilotprojekt soll Illegalen, denen oft nur der Weg in die Kriminalität bleibt, auf freiwilliger Basis eine Rückkehr mit Perspektive in ihr Heimatland ermöglicht werden. Getragen wird das Projekt von insgesamt 40 Organisationen, unter ihnen das Flüchtlingswerk, das Rote Kreuz, der Kirchenrat sowie der Niederländische Gemeinderat. Die Ministerien für Soziales und Entwicklungshilfe finanzieren es.

Die Ausbildung der Illegalen soll den Bedürfnissen in ihrem Herkunftsland entsprechen. So überprüft ein Komitee für freiwillige Rückführung momentan in diversen afrikanischen Ländern, an welchen Qualifikationen Bedarf besteht. Dementsprechend sollen in den Niederlanden dann Elektriker, Tischler oder Krankenpfleger ausgebildet werden. Nach einer Einführungsphase von einigen Monaten soll die Ausbildung, betreut von niederländischen Entwicklungshelfern und mit importierter Ausrüstung, im Herkunftsland fortgesetzt werden.

Über den Bedarf an einer derartigen Initiative ist sich John van Tilburg, Sprecher der Initiative, sicher. „Viele, die sich hier illegal aufhalten, bekommen Heimweh“, erklärt er. „Hier geraten sie in einen kriminellen Teufelskreis und können weder rein noch raus. Ihre Perspektive zuhause ist allerdings oft noch schlechter. Deshalb bleiben sie.“ Wenn es gelinge, den illegal im Land Lebenden mittels einer Ausbildung diese Perspektive zu vermitteln, könne vielen eine Rückkehr in ihre Heimat ermöglicht werden. Voraussetzung sei allerdings die Freiwilligkeit der Teilnahme. Das Projekt soll nicht als Repatriierungs-Programm verstanden werden.

Wenn das Pilotprojekt erfolgreich verläuft, sollen ab 1995 jährlich 2.000 Illegale in den Niederlanden ausgebildet werden. Die politische Unterstützung ist bereits gewährleistet: Außer den beteiligten Ministerien hat auch die Ausländerpolizei in Amsterdam zugesichert, in dem Projekt registrierte Illegale nicht auszuweisen.

Seit im letzten Jahr ein Flugzeug über der von zahlreichen Ausländern bewohnten Satellitenstadt Biljmer im Süden Amsterdams abstürzte, ist die Diskussion über den Umgang mit Illegalen in vollem Gange. Damals hatte Bürgermeister Ed van Thijn allen dort lebenden Illegalen, die von dem Absturz betrofffen waren, zugesichert, sie zu legalisieren, wenn sie sich registrieren ließen. Einige tausend hatte sich daraufhin gemeldet. Nach jüngsten Schätzungen des Amsterdamer Bevölkerungsregisters leben in der Stadt etwa 70.000 Menschen illegal – das wäre ein Zehntel der Bevölkerung.

Inzwischen herrscht Einigkeit, daß die Tatsache illegalen Aufenthalts im Land durch Totschweigen nicht gelöst wird. Sollte das Ausbildungsprojekt sich in den Niederlanden durchsetzen, erwarten die Organisatoren eine Modellfunktion für ganz Europa. Jeannette Goddar