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Notwehr gegen die neue Neutronenküche

■ Vor dem geplanten Forschungsreaktor in Garching warnen sogar Atomforscher

München (taz) – Wolfgang Gläser, Professor an der TU München schwärmt schon heute. Der geplante Forschungsreaktor München II (FRM II) werde die „zentrale deutsche Neutronenquelle“. Auf Hochglanzpapier rühmen die Garchinger Physiker das Projekt als „multidisziplinäre Einrichtung für Grundlagen- und Materialforschung“ ebenso wie für „medizinische und archäologische Anwendungen“.

Gina Gillig hingegen, Sprecherin der Münchner „Mütter gegen Atomkraft“ hält die Verhinderung dieses Neubaus für einen „Akt der Notwehr, um unsere Kinder zu schützen“. Am Samstag findet wider ein Protestmarsch gegen „das Atomei“ in Garching statt. Medienwirksam, so die Kritkerinnen, würden medizinische Anwendungen herausgestellt, die sich „im Prozentbereich“ bewegten. Mit dem Vorwand, Krebs heilen zu wollen, werde das krebserzeugende Potential auf der Erde vermehrt, schimpft Gina Gillig. Mit einem Bruchteil der in Garching verschleuderten Gelder ließe sich eine Bestrahlungseinrichtung am Münchner Klinikum einrichten.

Der langfristige Nutzen des Forschungsreaktors für die Kerntechnik – früher gerne erwähnt – werde inzwischen von der TU München verschwiegen, kritisieren die Mütter gegen Atomkraft. Seit die Garchinger Gegenwind spüren, haben sie eine neue Sprachregelung eingeführt. Das Wort „Forschungsreaktor“ wird peinlichst vermieden, statt dessen reden sie nun von „Hochflußneutronenquelle“.

Um die gewünschte hohe Zahl von Neutronen zu erhalten, soll auf 93 Prozent angereichertes waffenfähiges Uran 235 eingesetzt werden. Kommerzielle Reaktoren werden mit drei Prozent Anreicherung betrieben, andere Forschungsreaktoren mit 20 Prozent. Diese Verwendung waffenfähigen Urans trifft auch auf die Kritik selbst von Wissenschaftlern, die Forschungsreaktoren nicht generell ablehnen. Kein Wunder: Bereits 1978 habe Präsident Carter ein Programm in die Wege geleitet, weltweit hochangereichertes Uran in Forschungsreaktoren nicht mehr zu verwenden, schreibt der Bund Naturschutz. Weltweit haben fast alle Forschungsreaktoren ihren Betrieb auf niedrigangereichertes Uran umgestellt oder stellen derzeit um. Zu den wenigen Ausnahmen gehöre – so der Physiker Hans-Martin Adorf vom BN – bezeichnenderweise der europäische Hochfluß-Reaktor in Grenoble, dessen vormaliger Direktor Wolfgang Gläser war.

Hinter dem Bombenuran in Verbindung mit einem neuen Werkstoff namens „Uransilizid“ stecken jedoch handfeste finanzielle Interessen. Nur mit dem waffenfähigen Stoff ist der FRM II finanziell gegenüber der alternativen „Spallations“-Neutronenquelle konkurrenzfähig. Die Kosten für den neuen Garchinger Reaktor schnellen ohnehin in atemberaubender Geschwindigkeit in die Höhe. Noch vor wenigen Jahren wurden sie mit 360 Millionen Mark beziffert. Inzwischen sind es schon 50 Prozent mehr. Obwohl der Reaktor erst auf dem Reißbrett existiert, soll er schon 525 Millionen verschlingen.

So nimmt es nicht wunder, wenn man an der Sicherheit spart: Die umhüllende Betonwand soll nur einen Meter dick werden. Damit wäre der Reaktor nicht – wie für die letzten gebauten kommerziellen Meiler vorgeschrieben – gegen den Absturz schnellfliegender Militärmaschinen und großer Verkehrsflugzeuge ausgelegt.

Aber auch mit dünnen Wänden werden bei Siemens und seiner unterbeschäftigten KWU die Kassen klingeln: Die bayerische Staatsregierung plane eine rücksichtlose Plünderung der öffentlichen Kassen, schimpft die Opposition im Bayerischen Landtag. Der aus dem Bildungsetat finanzierte Reaktorneubau verstärke den personellen Notstand im Hochschulbereich und verhindere die Vollendung des Klinikums in Regensburg. Karl Amannsberger

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