Das Schachern um Entschädigung beginnt

Hämophilen-Verbände bestehen auf einer schnellen und großzügigen Regelung für alle Betroffenen / Heute erste Arbeitssitzung des Untersuchungsausschusses zum Aids-Blut-Skandal  ■ Von Manfred Kriener

Berlin (taz) – Noch vor Weihnachten soll die umstrittene Entschädigung der HIV-infizierten Bluter neu geregelt werden. Eine entsprechend schnelle Abwicklung hat der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zum Aids- Blut-Skandal, der CSU-Abgeordnete Gerhard Scheu, versprochen. Wie hoch die Entschädigungen für die nach Contergan größte deutsche Arzneimittelkatastrophe ausfallen werden, ist allerdings weiterhin unklar. Ebenso unklar ist, ob die infizierten Ehefrauen von Blutern ebenfalls als Anspruchsteller gelten und welche Regelung für die Hinterbliebenen der 400 bereits an Aids gestorbenen Bluter getroffen wird.

Die Deutsche Hämophiliegesellschaft hat ihre Forderungen nach einer angemessenen Entschädigung erneuert und dabei auch auf die Regelungen im Ausland hingewiesen. In Frankreich hat jeder Betroffene 500.000 Mark erhalten, in Spanien 350.000 Mark. In Dänemark wurden die anfangs sehr niedrigen Zahlungen auf 180.000 Mark erhöht. Die Hämophilen fordern ein Minimum von 300.000 und zusätzlich eine monatliche Rente von 2.000 Mark.

Wildfried Breuer, Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Hämophilen, warnte gestern gegenüber der taz erneut davor, bei den Entschädigungen zwischen Aidskranken und Infizierten zu unterscheiden und damit einen Keil zwischen die Betroffenen zu treiben. Der Staat müsse endlich seiner humanitären Pflicht gerecht werden und alle Opfer schnell und großzügig entschädigen.

Vor der heutigen ersten Arbeitssitzung des Untersuchungsausschusses hat die SPD-Abgeordnete Anni Brandt-Elsweier eine einvernehmliche Lösung gefordert. Sie unterstütze die Forderungen der Hämophilen in vollem Umfang. Eine „gerechte Entschädigung ist ohnehin nicht mehr möglich“, sagte Brandt-Elsweier. Unermeßliches Leid könne nicht mit Geld aufgewogen werden. Durch die HIV-verseuchten Blutpräparate seien zum Teil ganze Familien einschließlich der Kinder infiziert worden.

Bundesgesundheitsminister Seehofer hat erklärt, daß die von ihm anvisierten 10 Millionen Mark nur ein erster Schritt und eine Soforthilfemaßnahme sein sollen. Die CDU will diese Summe mindestens verdoppeln. Bei einer Entschädigungsregelung wie in Frankreich wäre bei mehr als 2.000 Betroffenen aber mindestens eine Milliarde Mark notwendig.

Der Siegener Rechtsanwalt Karl-Hermann Schulte-Hillen rechnet mit dem Schlimmsten. Angesichts der Finanznöte befürchtet er, daß die Bluter mit ihren Ansprüchen erneut auflaufen könnten. Schulte-Hillen weiß, wovon er spricht. Er führte 1987 und 1988 die Verhandlungen mit den Versicherern der Pharmaunternehmen. Damals waren nach einem langwierigen Verhandlungsmarathon außergerichtliche Vergleiche erzielt worden. Für entstandene Vermögensnachteile erhielten die Betroffenen 24 Monatsgehälter minus ein Drittel Sozialabgaben, plus 10.000 bis 20.000 Mark Sonderaufschlag für „besondere Aufwendungen“. Berufstätige Infizierte erhielten 60.000 bis 70.000 Mark, Rentner 45.000 Mark, Kinder rund 30.000 Mark. Bei besonders guten Schulnoten gab es in Einzelfällen einen Aufschlag für die Kinder wegen der besseren Berufsaussichten, die sie im Falle ihres Weiterlebens gehabt hätten.

Die Betroffenen hatten genau drei Wochen Zeit, die Regelung zu akzeptieren und per Unterschrift auf weitere Ansprüche zu verzichten. Fast alle akzeptierten, obwohl sie sich über die erpresserischen Umstände im klaren waren. Angesichts der kurzen Lebensspanne und des Kostenrisikos verzichteten sie auf eine Klage. Bei einem Prozeß hätten die Bluter zudem ihre Anonymität aufgeben und ihre Infektion öffentlich machen müssen, wovor viele zurückschreckten. Außerdem war in vielen Fällen überhaupt nicht klar, welche Firma zu verklagen gewesen wäre. Angesichts der vielen Präparate auf dem Markt ließ sich bei vielen Blutern nicht mehr eindeutig nachweisen, welches Präparat welcher Firma die Infektion verursacht hatte. Diese Notlage der Beweislast wurde von der Industrie voll ausgenutzt.

Bis zuletzt wollten die Pharma- Unternehmen jegliche Zahlung verweigern. Sie lehnten sogar Gespräche mit Schulte-Hillen rundweg ab und verwiesen stur auf ihre Versicherungen. Dieselbe Pharmaindustrie hat sich an den Blutern schwindelig verdient. Durch die in Deutschland übliche Hochdosierung wurden bei manchen Patienten Medikamente für mehr als eine Million Mark im Jahr verabreicht. Schulte-Hillen schätzt die Gewinnspanne in Spitzenfällen auf jährlich 500.000 bis 700.000 Mark pro Patient.

Auch heute zeigen sich die Pharma-Unternehmen wieder kleinlich. Grundsätzlich haben sie zwar ihre Unterstützung für den Seehofer-Fonds zugesagt, aber ein großzügiges konkretes finanzielles Angebot ist bis heute unterblieben.