13 Stunden warten, bis es endlich hell wird

■ In Sarajevo gibt es seit einem Monat keinen Strom und kein fließendes Wasser

Die Freude dauerte nur kurz. Am Montag abend hatten die Bewohner Sarajevos erstmals nach vier Wochen wieder Strom. Und da niemand wußte, wie lange das Glück andauern würde, versuchten alle, die Gunst der Stunde zu nutzen: Elektrogeräte, Lampen und Fernseher wurden eingeschaltet. Schon nach 50 Minuten brach das Stromnetz unter der Last der extremen Nachfrage zusammen. Sarajevo tauchte wieder in die Finsternis ein.

Zur Zeit ist es in der belagerten Hauptstadt 13 Stunden am Tag dunkel. In besseren Familien behilft man sich mit Kerzen, von denen jede einen Monatslohn kostet, oder mit Öllämpchen. In den meisten Häusern wartet man schon am frühen Abend bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in Decken gehüllt das Licht des nächsten Tages ab. Gestohlene Zeit.

Kein Licht, das die Nächte kürzer macht, kein Fernsehen, das die Zeit vertreibt, keine Maschine, die die Kleider wäscht. Doch das Schlimmste ist: Ohne Elektrizität kein fließendes Wasser, weil die Pumpen nicht arbeiten. Das wiederum bedeutet oft einen Fußweg von einer halben Stunde über Kreuzungen, die im Schußfeld von Heckenschützen liegen, zur nächsten Wasserstelle, wo man sich in lange Schlangen einreiht. Als im letzten Juli in Sarajevo das Wasser so knapp wurde, daß pro Person täglich nur zwei Liter gezapft werden durften, kapitulierte die bosnische Regierung. Sie gab die Energiezufuhr für die serbische Waffenfabrik in Vogošća frei, die just jene Granaten produziert, die von den umliegenden Bergen täglich auf Sarajevo abgefeuert werden.

Die Stadt ist kalt in diesen Tagen. Zwar findet man in vielen Wohnungen selbstgebastelte Öfen, die mit Kohle oder Holz gefeuert werden können. Doch Kohle gibt es nicht, und für einen Stoß Holzscheite, der bei sparsamer Verwendung für eine Woche reichen könnte, bezahlt man 30 Mark, umgerechnet zehn Monatslöhne – erschwinglich also nur für die Minderheit, die über Zuwendungen aus dem Ausland oder einen Job bei einer Hilfsorganisation oder der UNO Zugang zu Devisen hat. Die Mehrheit aber hat ohnehin weder Arbeit noch Lohn und lebt allein von dem, was die UNHCR in die Stadt einfliegt: von Nahrung in ungenügender Menge. Die Versorgung mit Holz ist Privatsache.

So versucht man, wenn es irgendwie geht, ans Gas heranzukommen. Zur Zeit wird in Sarajevo das Gassystem repariert. Das Gas kommt aus Rußland über eine Pipeline, die durch Serbien und von dort über serbisch besetzte Gebiete Bosniens nach Sarajevo führt. In Ilidža, einem serbisch besetzten Vorort Sarajevos, fließt es mit einem Druck von 3,4 Millibar durch die Röhren, in der Stadt selbst beträgt der Druck gerade noch 0,3 Millibar. Die serbischen Milizen verweigern der UNO bislang den Zutritt zu den Installationen, um die Gasverteilung zu überprüfen.

In einigen Teilen der Stadt immerhin gibt es bereits Gas. Ab und zu jedenfalls. Und dann zapfen die Menschen auf abenteuerlichste Art und Weise die Leitungen an. Vielerorts führen alte Plastikschläuche direkt vom Straßengraben über die Außenwand des Hauses durchs Fenster in die Wohnung. Mitunter fließt das Gas durch dieselben Heizkörper, durch die im alten Fernheizungssystem das Wasser gepumpt wurde. Kein Wunder also, daß es immer wieder zu Unfällen kommt. Allein im Oktober sind fünf Personen bei Bränden und Explosionen gestorben, die durch undichte Gasleitungen entstanden sind. Es sind Kriegstote – wie die Opfer von Heckenschützen, wie die Kinder, die am Dienstag in ihrer Schule von einer Granate getroffen wurden, wie die alten Menschen, die entkräftet an Krankheiten sterben, die sie unter anderen Umständen ohne weiteres überleben würden. Thomas Schmid, Sarajevo