■ „Howl“ etc.
: Jüdische Kulturtage: Kalifornien

Auf einem blauen Cadillac prangt schnittig-rot ein kalifornisches Nummernschild: „Dr. Rabbi“ steht drauf. So ein Schild, amerikanisch wie Apple Pie, wäre in Berlin eine Kuriosität, vergleichbar nur einem intelligenten Bürgermeister oder einem eingewickelten Stadtschloß. Daß die Jüdische Gemeinde am Ort auf diese Weise für ihre Kulturtage wirbt, zeigt, daß die Zeiten der Folklore vorbei sind.

Kernstück dieser siebten Veranstaltungsreihe sind Fragen, die bei den letzten Kulturtagen und eigentlich schon davor, bei den „Jüdischen Lebenswelten“, offengeblieben waren: Was wird aus einer viertausend Jahre alten Religion in einer Umgebung, die von ihrer Ideologie her so traditionsfeindlich ist wie Los Angeles? Ist der Talmud modernisierbar, zum Beispiel auch für Feministinnen oder Schwule? Die enormen Spendenaktionen der amerikanischen Juden für Israel, entspringen sie einem wie auch immer gearteten zionistischen Impuls oder dem schlechten Gewissen, die Mühen nicht auf sich genommen zu haben? Und wie finden die 30.000 Überlebenden des Holocaust, die in Los Angeles leben, das „Museum of Tolerance“, das mitunter als „Disneyland of Jewish Horrors“ beschrieben wird?

Zu diesen Fragen hat die Gemeinde unter – wie man so hört – halsbrecherischen Manövern die Exponenten der verschiedenen Flügel in die Stadt gebeten. Die erste Diskussionsveranstaltung heißt zwar peinlicherweise „Gibt es eine amerikanisch-jüdische Symbiose?“, aber auf dem Podium werden sich Laura Geller, eine der ersten ordinierten Rabbinerinnen und Vertreterin des linken „American Jewish Congress“, und der orthodoxe Rabbiner Daniel Landes gegenübersitzen.

Während Rabbi Geller Diskussionen über die Rolle der Prophetin Miriam organisiert, versucht Rabbi Landes, die Orthodoxen auf den intellektuellen Stand der traditionell besser geschulten Ostküste zu bringen. Mit ihnen diskutiert David Biale, der sich als letztes mit der pikanten Frage beschäftigt hat, warum jüdische Männer entweder als vergeistigte Asketen oder als Sex Maniacs gelten, und er hat ein Buch über „Tough Jews“ geschrieben. Man merkt: Es geht um Selbst- und Fremdbilder und wer den Daumen auf welchem hat. (Eröffnungsdiskussion 14.11., 20 Uhr, Akademie der Künste).

Die wahrscheinlich brisanteste Angelegenheit dieser Kulturtage wird wohl die Veranstaltung „Holocaust und jüdisches Selbstverständnis“ am Mittwoch abend im Amerikahaus werden. Geladen ist zunächst Rabbi Marvin Hier, der große Kommunikator eben jenes „Museums of Tolerance“, in dem Juden und Goyim die Lektion eingebleut wird, daß unter jedem Stein ein Antisemit sitzt, und daß es deshalb gilt, so jüdisch wie möglich zu sein und Israel nach Kräften zu unterstützen. Noch nie hat er seinem schärfsten Kontrahenten, Michael Lerner, dem Herausgeber der linken jüdischen Kulturzeitschrift Tikkun, direkt gegenübergesessen. Lerner und seine Mitstreiter lehnen diese Erpressung ab und suchen nach Einstiegen ins Judentum, die sie überflüssig machen. Mit beiden auf dem Podium sitzt Dan Diner, Professor für neuere Geschichte in Essen und Tel Aviv, der nicht glaubt, daß sich überhaupt noch „eine Geschichte des Holocaust, die der Opfer und die der Täter, schreiben, geschweige denn darstellen läßt“.

Für Allen Ginsberg braucht hier wohl kaum noch geworben zu werden. Man erinnere sich an den berühmten Auftakt seines Poems „Howl“, der Hymne der Beat Poets, bei der es manchen von uns so ähnlich schauerte wie bei dessen Ankündigung durch Companero William Carlos Williams: „Hold back the edges of your gowns, lady, we are going through hell.“ Solchermaßen angekündigt hieß es dann eben: „I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked,/ dragging themselves through the negro streets at dawn lokking for an angry fix...“, und so weiter. Inzwischen ißt Ginsberg nur noch makrobiotisch, und die Karten sind ausverkauft. mn