Hauptstadtmusik
: Vom Altern der Dummheit in der Musik

■ Mit: Nintendo, den King's Singers und Eisler. Außerdem: Neues von den Frauen

„Ein bißchen doof ist niedlich“, hat unser Kindermädchen gerne zu meinem Bruder gesagt. Sie war ein Bönnsche Mädsche, aus Bonn im Leben nicht herausgekommen, und sie hatte für den obengenannten Sachverhalt, der ihr berufsbedingt öfter unterkam, noch eine mundartliche Variante parat: „Äjeedejäck ißanders.“ Heutzutage zirpen aus den Kinderzimmern zart und nervtötend klassische Evergreens heraus – ein Häppchen g-Moll-Sinfonie etwa oder auch ein Achtel Arlesienne-Suite; unsterbliche Meisterwerke also, doch zum Computerpieps mutiert und in Endlosschleife aufsteigend aus jenem handlichen sogenannten „Spieljungen“, der den Sprößlingen die Zeit totzuschlagen hilft. Hilfe! Hätten wir doch bloß ein Kindermädchen! Oder wenigstens selbst eine rheinische Frohnatur! Aber die Zeiten haben sich gewandelt, wir mit ihnen, und das einzige, was ewig bleibt und nie auszurotten ist, das ist der Kanon klassischer Meisterwerke der Musik!

Er wächst sogar und wuchert entsetzlicherweise immer weiter und über die E-Musik hinaus. Überall, auch in der U-Musik, die doch stets den Vorzug hatte, schnell verderblich zu sein, macht sich längst derselbe Trend zum Konservieren und Mumifizieren breit: Melanie etwa gastierte jüngst wieder in Berlin, und auch Cliff Richard, und beide haben in dreißig Jahren überhaupt nichts dazugelernt. Das Altern der Dummheit in der Musik schreitet rüstig voran. Es hat für diesen Ärger, seit die Avantgarde davor versagt hat, schon verschiedene Lösungsbewegungen gegeben: eine davon haben neulich wieder die King's Singers vorgeführt, als sie im Kammermusiksaal der Philharmonie zu Gast waren. Auch sie gewiß nicht die Jüngsten mehr, und schon seit dreißig Jahren im Geschäft. Aber sie sind längst nicht mehr mit sich selbst identisch: Bis auf einen Counter- tenor wurden alle Stimmen im Laufe der letzten drei Jahrzehnte mindestens einmal ausgetauscht.

Die King's Singers singen sich immer noch querbeet durch U und E – alles, was recht und immergrün ist. Präzision und Virtuosität ist ihnen Pflicht. Und als Kür kommt dazu: Sie wissen, was sie tun. Sie machen Musik in Kenntnis der dazugehörigen Musikgeschichte(n). Ein mehrstimmiges Madrigal aus der Renaissance wird nicht allein wegen der schönen schrägen Stimmkreuzungen vorgetragen, und ein Operettenschlager nicht nur, weil er so schmissig ist. Die King's Singers gehören zu den seltenen Vögeln, die es wagen, vom Ernst im Spaß und von der Klugheit der albernsten Kalauer zu singen. Und widerlegen so wenigstens partiell jenes berühmte Bonmot von Hanns Eisler, der die „Dummheit in der Musik“ insbesondere in der U-Musik seiner Zeit angesiedelt sah: Jede Musik, egal welcher Couleur, ist eben nur so doof, wie sie schlecht und schlampig interpretiert wird.

Eisler würde sich übrigens schlapplachen, wüßte er, was für ein Tauziehen sich augenblicklich einige Seilschaften um das hiesige Eisler-Archiv liefern. Witwe Stephanie Eisler, die das reiche Material aus dem Nachlaß (Autographe, Briefe, Manuskripte) gut dreißig DDR-Jahre lang gratis an die (Ost-)Akademie der Künste ausgeborgt hatte, will jetzt komplett verkaufen oder sonstwie in irgendeiner Form Kohle dafür sehen. Das geht in Ordnung so, jeder soll etwas haben vom Sieg des Kapitalismus. Die (West-Ost-)Akademie würde zwar gerne, kann aber, wie sie versichert, den geforderten „siebenstelligen Betrag“ nicht aufbringen und hat eh schon mehr als hundertdreißig solcher Nachlässe zu betreuen. Vor allem aber hat die Akademie (Sektion Musik) genug mit den Jecken aus der eignen, in langen Inseljahren gepflegten Klüngelei zu schaffen und braucht absolut nicht noch einen von außen dazu, wie etwa den Musikwissenschaftler und altgedienten Tagesspiegel-Kritiker Albrecht Dümling, der seinerseits gut mit „Frau Steffi“ kann und mitsamt dem Archiv quasi im Paket in die Akademie gebeamt und dort am liebsten gleich verbeamtet werden möchte, wozu der Tagesspiegel kollegial kräftig trommelt, die Akademie dagegen vorläufig noch höhnisch schnaubt... Auch das geht völlig in Ordnung, jeder hat schließlich das Recht auf Arbeit, auf Profit und auf einen netten Ruhestand. Nur soll man nicht immer gleich so tun, als sei das gesamte Kulturerbe des Abendlandes in Gefahr. Daß das Archiv weggeschmissen oder auch nur der Öffentlichkeit entzogen werden sollte, davon ist ja nicht die Rede.

Dringende Nachbemerkung zum Thema U oder E: Zum dritten Mal und immer noch viel zuwenig bemerkt fand heuer wieder im Schatten des unglücklichen Berliner JazzFestes ein überaus geglücktes kleines Festival statt: experimentelle Musik, die sich aufs erregendste zwischen sämtliche Stühle setzt. Dazu reisten Musikerinnen aus aller Welt an und spielten jede, „wie es ihr gefällt“. So heißt das Festival. Es sangen und spielten unter anderen: Joelle Leandre aus Paris, Dagmar Andrtova aus Prag, Ulrike Haage aus Berlin, Maggie Nicols aus London und an die fünfzig andere Frauen mehr. Keine, die sich in eine der üblichen Schubladen stopfen ließe – keine, die alte Strickmuster recycelt. Alles Frauen. Sie machen „Ü-Musik“: Ü wie U plus E in reiner Mischung. Eleonore Büning