■ Hamburg nach dem Scheitern von Rot-Grün
: Statt Grün

Seinem Berufsstand wenigstens hat Henning Voscherau alle Ehre gemacht. Wie ein Notar führte er die Koalitionsgespäche mit den Grünen, mit denen er formal korrekt verhandelte, um sie in der Sache unerbitterlich auflaufen zu lassen. Dem Mandat seiner Partei, die ihn mit knapper Mehrheit in die Verhandlungen gezwungen hatte, beugte er sich, ohne doch je aus der Rolle des entschiedenen Koalitionsgegners zu fallen. Den ungeliebten Gesprächsreigen hat er trocken in Szene gesetzt, um so am Ende dem rot-grün gestimmten Landesvorstand auch die letzte Einspruchschance zu nehmen. Daß sich Voscherau dazu der altgrünen Knackpunktstrategie – fordern, reden, scheitern – bediente, macht die Pikanterie des Vorgangs aus. Kompromißunfähig und vorurteilsbeladen wie vor Urzeiten Thomas Ebermann, nur eben weniger locker und unterhaltsam präsentierte sich der erste Bürger der Hansestadt. Hier, so scheint es, gibt noch immer der Alt- und Überkanzler Helmut Schmidt den Ton an.

Für die pragmatisch-offenen Grünen in Hamburg bedeutet das Scheitern der Verhandlungen eine – absehbare – Enttäuschung. Doch die neuen Hamburger Verhältnisse sind, weil wohl vor allem in der Mentalität des Spitzengenossen begründet, zu spezifisch, als daß sie sich als prinzipielle Absage ans rot-grüne Modell interpretieren ließen. Dennoch schmälert das Scheitern in Hamburg die rot-grüne Option auf Bundesebene. Denn nur funktionierende Bündnisse in den Ländern könnten 94 die Ängste beider Seiten vor dem großen Sprung minimieren helfen.

Bundesweite Ausstrahlung könnte Voscheraus Anti-Grün-Entscheidung im Hinblick auf die Hamburger Neugründung gewinnen. Selbst wenn die Statt Partei sich einer formellen Koalition verweigert, kommt ihr jetzt die Schlüsselrolle zu. Warum sich Voscherau ausgerechnet von den programmatisch unbeleckten Unionsr-Renegaten die hansestädtische Stabilität erhofft, die er im Bündnis mit den Grünen nicht garantiert sah, bleibt unerfindlich. Sozialdemokratischen Sinn macht die Aufwertung der Statt Partei jedoch in anderer Hinsicht. Gerade weil sie bislang nichts anderes darstellt als den erstmals parlamentsfähigen Protest aus der Union – gegen die Union –, könnte es den Sozialdemokraten ratsam erscheinen, das Pflänzchen zu hegen, wo es denn sprießt. Einen ähnlichen Aderlaß, wie ihn die SPD durch die Grünen in den achtziger Jahren erdulden mußte, würde die SPD der Konkurrenz schon gönnen. Bislang war die „Sechste Partei“ nur Projektionsfläche, ein unbestimmtes Gegenbild zu den Frustrationserfahrungen mit etablierter Politik. Voscherau jedenfalls hat dem Gründungsfieber neue Nahrung verschafft. Matthias Geis