■ Das US-Repräsentantenhaus billigt Waffenkontrollgesetz
: Ein kultureller Quantensprung

Eine an ihren Rollstuhl gefesselte 92 Jahre alte Frau habe in Chicagos Southside einen 16jährigen Einbrecher erschossen, lautete eine Meldung am Vorabend der Verabschiedung des ersten landesweiten Gesetzes zur Beschränkung des in der US-Verfassung verankerten Grundrechts auf Waffenbesitz. Das wird jenen Auftrieb geben, die schon immer sagten: „Wenn man den Waffenbesitz ungesetzlich macht, dann haben bald nur noch die Gesetzlosen Waffen.“ Das wiederum ist denen Bestätigung, die meinen, Amerika sei ein prinzipiell gewalttätiges und unzivilisiertes Land, dessen Waffennarretei nur ein anderer Aspekt seines rüden und antisozialen Individualismus ist.

Die Kritiker haben recht. Dieser Waffenwahn kann zwar aus der Geschichte erklärt, nicht aber verteidigt oder gar gutgeheißen werden. Das staatliche Gewaltmonopol ist eine gesellschaftliche Errungenschaft und Voraussetzung einer zivilen Gesellschaft. So gesehen hat sich Amerika noch heute nicht von seinen historischen Anfängen gelöst, in denen der Waffenbesitz des freien Bürgers und eine Volksmiliz den Unterschied zum europäischen Repressionssystem und den stehenden Fürstenheeren markierten. Der Waffenbesitz des freien Bürgers und die freie Assoziation der bewaffneten Bürger zu ihrem Selbstschutz hatten ihren Sinn in einer ländlichen Demokratie, wie sie Jefferson vorschwebte. Die USA aber wurden längst zur städtischen, wenn auch noch lange nicht urbanen Gesellschaft. Der Widerstand gegen die Einschränkung des Waffenbesitzes ist mithin auch einer des Landes gegen die Stadt, der unmittelbaren Demokratie gegen verwaltete Massengesellschaft, eines schönen Ideals gegen die häßliche Wirklichkeit. Mit diesem Widerspruch ließen sich trefflich Geschäfte machen, und die NRA (National Rifle Association), Amerikas mächtige Waffenlobby, vertritt nicht nur die Interessen von Machos und Romantikern, sondern vor allem die von Waffenproduzenten.

Die NRA hat in diesem Jahr eine ganze Reihe von Niederlagen hinnehmen müssen. Im Bundesstaat Virginia wurde ein Gesetz verabschiedet, das den Erwerb von nur noch einer Waffe pro Monat erlaubt – ein Schlag gegen die Waffen-Grossisten, die sich in Virginia mit Massenware eindeckten, um sie in Washington und New York abzusetzen. In Florida wurden nach den Morden an Touristen zumindest den Jugendlichen die Waffen abgenommen. Wer unter 18 ist und eine Waffe besitzt, verliert seinen Führerschein – eine in den USA empfindliche Strafe. Das Entscheidende an all diesen Maßnahmen ist nicht, ob sie unmittelbar wirken, sondern daß sie das Ende der amerikanischen Mythologie und den Beginn der Auseinandersetzung mit realen Problemen markieren. Ein weiterer Schritt auf dem langen Weg von der Pionier- zur zivilen Gesellschaft. Reed Stillwater

Freier Autor, lebt in Hannover