„Ja, ihre Existenz ist bedroht“

■ Nicolai Gheorghe, Soziologe und Vorsitzender der „Ethnischen Föderation der Roma Rumäniens“, über Gewalt gegen Roma

taz: Herr Gheorghe, seitdem Deutschland und Rumänien vergangenen November das Abschiebeabkommen unterzeichneten, haben Sie immer wieder betont, Rumänien sei für Roma, außer in Einzelfällen, ein sicheres Land. Nach dem Pogrom von Hadareni haben Sie diese Ansicht öffentlich revidiert. Warum?

Nicolai Gheorghe: Ich habe mehr als zwei Jahre einen moderaten Standpunkt vertreten, weil ich der Meinung war, daß wir mit den rumänischen Behörden kooperieren müssen. Ich wollte damit nicht nur den Behörden, sondern auch der Gesellschaft zeigen, daß wir bereit sind, einen Teil der Verantwortung für die komplexen sozialen Probleme der Roma zu tragen. Mit der moderaten Linie, mit dem bürokratisch-technischen Herangehen wollte ich Glaubwürdigkeit gewinnen. Was mich nun so nervös macht, ist nicht so sehr die Tatsache eines weiteren Pogroms, sondern mehr die Haltung der Regierung. Sie zeigt völlige Verantwortungslosigkeit, indem sie die Opfer zu Schuldigen macht und die Ereignisse rechtfertigt. Die Regierung erklärt, wir müßten in diese Gesellschaft integriert werden. Als seien wir nicht ihre Bürger! Die Regierung beruft sich ständig auf internationale Dokumente, aber tatsächlich geschieht nichts.

Sind die rumänischen Roma in ihrer Gesamtheit bedroht?

Die Unsicherheit der Roma steigt, negative Stereotypen, Haß gegen sie wachsen. Zu Beginn der 30er Jahre hatte ein deutscher Jude aus der Mittelschicht vielleicht die gleiche Rezeption wie ich als Rom aus der Mittelschicht: Ich fühle mich aufgrund meiner sozialen Position sicherer. Ich weiß nicht genau, wie die Roma am Rand der Gesellschaft fühlen. Ich neige dazu, zu sagen: Ja, es gibt diese Bedrohung ihrer Existenz.

Die rumänischen Medien sehen hinter den Übergriffen auf Roma keine interethnischen Konflikte.

Ich habe von Anfang an gegen diese Haltung polemisiert. Die Behörden haben, wenn sie von sozialen Konflikten sprechen, im Sinn, Übergriffe lediglich als einen Bruch des Zivilrechts zu interpretieren. Es heißt dann, Roma provozierten Übergriffe durch ihre kriminellen Aktivitäten, Spannungen hätten sich mit der Zeit quantitativ angehäuft und sich dann qualitativ entladen. In dieser vulgärmarxistischen Weise wird hier immer noch geredet.

Warum richten sich die Pogrome nur gegen Roma?

Zum einen sieht man, daß die Roma schwach sind. Das Verhalten der Behörden legitimiert Gewalt gegen Roma. Die Bürgermeister meinen, daß Roma aus ihren Gemeinden verschwinden müßten, die Polizei denkt dasselbe. Zum anderen gibt es soziale Gründe, die mit dem Fehlen einer sichtbaren Beschäftigung der Roma zu tun haben. Die Unternehmen, in denen sie früher arbeiteten, gibt es nicht mehr. Die meisten Roma gehen einer unternehmerischen Tätigkeit nach. Sie haben durch Handel viel Geld erwirtschaftet. Die Leute glauben, daß Roma vom Stehlen, von Schwarzmarktgeschäften leben, die früher verboten waren. Jetzt allerdings ist der Handel als Teil der freien Marktwirtschaft legal. Es ist der Neid. Da ist wieder die Parallele zu den Juden. Dann kommt natürlich als Drittes das allgemeine Stereotyp hinzu, das besagt, jeder Zigeuner ist schlecht. Ich leugne keineswegs, daß auch Roma in kriminelle Aktivitäten verwickelt sind. Doch das Stereotyp geht so weit, Zigeuner und Kriminalität per definitionem gleichzusetzen. Interview: Keno Verseck