Nachhaltig noch ohne Konzept

In Deutschland ist oft von der Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens die Rede / Wie das konkret aussehen soll, weiß niemand  ■ Aus Loccum Hermann-Josef Tenhagen

Christine Ax, Mitarbeiterin der Handwerkskammer Hamburg, appellierte mit Leidenschaft an die Konferenz: „Utopie ist, wenn die Politik in Bonn und Brüssel von noch mehr Wachstum spricht. Utopie ist, wenn das Entwicklungsmodell West nach Osteuropa oder China transportiert wird. Jeder Taxifahrer hat inzwischen begriffen, daß wir die Ressourcen, die wir verbrauchen, stärker besteuern müssen. Von Ihnen erwarte ich Antworten, wie.“

Solche Antworten blieben die Politiker und Bonner Spitzenbeamten schuldig. Sie bekannten sich am vergangenen Wochenende in der Evangelischen Akademie Loccum zu ihrer Ratlosigkeit. Alle reden von Nachhaltigkeit, aber keiner weiß, wie sie aussehen kann. „Bei den herrschenden falschen Preisen können wir uns einfach nur falsche Bilder von den Lösungen machen“, erteilte Gerhard Maier- Rigaud vom Wirtschaftsministerium sich selbst und seinesgleichen vorneweg die Absolution. Oder noch deutlicher der Abteilungsleiter Energie im Bundesumweltministerium, Franz-Josef Schafhausen: „Wir haben gegenwärtig kein ökonomisches Konzept, keine theoretische Vorstellung von nachhaltiger Entwicklung.“ Nur eines sei klar, so Maier-Rigaud: „Unter den heutigen Bedingungen ist es nicht rational, ökologisch nachhaltig zu wirtschaften.“

Andere Rahmenbedingungen müßten organisiert werden, soweit mindestens bestand in Loccum Einigkeit zwischen Politikern wie dem SPD-Abgeordneten Ernst Schwanhold, Spitzenbeamten und den zahlreich vertretenen Wissenschaftlern. Wenn demnächst jeder zweite der 1,3 Milliarden Chinesen ein Auto besitzen wolle, wie das in Deutschland üblich sei, bedeutet das das Ende des blauen Globus. Die Alternative könne nur in einer Ökonomie liegen, die weniger pro Kopf verbraucht. „Wir müßten den Stoffverbrauch auf ein Zehntel und den Energieverbrauch auf ein Viertel senken“, faßte Ernst Schwanhold (SPD), der Vorsitzende der Chemie-Enquetekommission des Bundestages die notwendigen Korrekturen für Deutschland zusammen.

Wie eine Reduktionsstrategie politisch mehrheitsfähig gemacht werden könnte in Zeiten, wo Kabinett, Kapital und Arbeit sich gegen die Bewältigung ökologischer Probleme zusammenschließen, wußte Schwanhold auch nicht zu sagen. Immerhin arbeiteten knapp zwei Millionen Menschen in den Branchen, die die Industrie selbst euphemistisch umweltintensiv nennt. 25 Prozent des Umsatzes im verarbeitenden Gewerbe würden dort erzielt, so Gerhard Voß vom industrienahen Institut der deutschen Wirtschaft. In Niedersachsen hängen beispielsweise 30 Prozent der Industriearbeitsplätze am Auto.

Andererseits: So wie es jetzt ist, geht es nicht weiter. „Die Technologie der Nachkriegszeit aufrechterhalten, bedeutet den Bitterfelder Weg“, wie der Politologe Martin Jänicke es in Loccum pointierte. Selbst ohne Wachstum würde jeder Bundesbürger nach Jänickes vorläufiger Rechnung jährlich 16 Tonnen Rohstoffe verbrauchen. Ob, wie das manche hoffen, eine Effizienzrevolution durch ökologischere Preise und sparsamere Technologie allein schon für die notwendige Reduzierung und eine nachhaltige Wirtschaft ausreichten, darüber entzündete sich der eigentliche Streit in Loccum.

Muß weniger mehr sein?

„Wenn das Gespräch über Wohlstandsmodelle nur über Verbrauchsnumerisches geführt wird, dann ist der Konflikt schon verloren“, griff etwa der Kulturwissenschaftler Wolfgang Sachs die versammelten Umweltökonomen frontal an. Ein Rationierungsdiskurs bleibe „politisch impotent“. Plastischer: Der Übergang zu einem anderen Lebensstil wird nur kommen, wenn die Menschen mehr Freude daran haben, weniger zu verbrauchen. Sachs forderte, endlich die ideologische Auseinandersetzung zu führen, den Weltanschauungsstreit. „Zeitsouveränität und Grundsicherung müssen die Pfeiler einer neuen Sozialordnung und einer nicht wachtumsabhängigen Wirtschaft sein – ich glaube, daß wieder eine Epoche des Bilderstreits kommen muß.“

Viertagewoche hin oder her, eben jenen Bilderstreit scheute Gerhard Praetorius von Volkswagen wie der Teufel das Weihwasser. Notwendig sei doch nicht „das andere Leitbild Verkehrsvermeidung“, wie dies Sachs nahelege, „sondern eine umweltverträgliche Bewältigung des Verkehrs. Dazu braucht es Produktinnovationen statt voluntaristischer Verzichtsstrategien. Das Auto ist ein verdammt ideales Produkt, das leider ein paar Fehler hat.“

Andere Leitbilder für die Gesellschaft, das bedeutet für Politologen wie Martin Jänicke auch, den Markt als zentrales Verteilungs- und Effizienzmodell abzulösen: „Diese Gesellschaft ist doch gekennzeichnet vom Aufstand der Mittel gegen die Zwecke.“ Der Glaube, allein durch die sogenannte Internalisierung der Umweltkosten den Markt für den Umweltschutz nutzbar machen zu können, sei „eine fahrlässige Utopie“. Jänicke plädierte für eine wesentliche Erweiterung ökologischer Steuerungsmechanismen. Mehr Information für die Firmen selbst und mehr Interventionsmöglichkeiten für die Betroffenen. So würden der Verbrauch an Materialien, an Energie, Wasser und Boden von den Firmen heute noch genausowenig je produziertes Stück berechnet wie ihre Kosten für Transport, Abfall, Versicherungen und nachgeschaltete Umwelttechnologien. Und das, obwohl die ökologisch relevanten Kosten in der Regel höher lägen als die Kosten für das Personal. „Deshalb bauen die auch Personal ab und nicht den Ressourcenverbrauch“, bemerkte ein Seminarbesucher bitter.