Es geht auch ohne Chlorchemie

■ Hessens Umweltminister Fischer stellt Prognos-Studie vor: Der Ersatz von PVC ist nicht das dringendste Problem

Frankfurt/Main (taz) – „Der ungebremste Ausbau der Chlorchemie ist eine der entscheidenden umweltpolitischen Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte.“ Der hessische Umweltminister Joschka Fischer (Bündnis 90/ Die Grünen) klagte gestern in Wiesbaden die „Wende“ bei der Chlorchemie ein. Denn der „großen technischen Einsatzbreite“ der Grundchemikalie stünden potentielle Gefahren für Menschen und Umwelt – hochgiftige Verunreinigungen durch Dioxine und Furane – durch die höchst problematischen End- und Zwischenprodukte gegenüber. Fischer will jetzt auf die Bremse treten: Der Umweltminister stellte die Ergebnisse einer von ihm schon vor Jahresfrist in Auftrag gegebenen Studie der Prognos AG vor, die sich mit den Möglichkeiten der Konversion von Chlor beschäftigt. Überraschenderweise, so Fischer, seien die Experten von Prognos zu dem Schluß gekommen, daß es nicht so sehr um den Ersatz chlorhaltiger Endprodukte gehen könne, sondern vornehmlich um den Ersatz chlorbelasteter Herstellungsverfahren. Fischer: „Lediglich für PVC besteht die Option in Form einer Produktsubversion.“

So habe bereits die Vorstudie ergeben, daß etwa das chlorbelastete Herstellungsverfahren für Propylenoxid problemlos durch ein chlorfreies ersetzt werden könne. Propylenoxid, in Deutschland vor allem von den Firmen DOW-Chemical, Erdölchemie, BASF und Buna angeboten, wird hauptsächlich zur Herstellung des Kunststoffes Polyurethan verwendet, aber auch zu anderen Zwischenprodukten weiterverarbeitet, die in Löse- und Frostschutzmitteln, Waschmitteln und in Bremsflüssigkeit enthalten sind.

Das chlorfreie Herstellungsverfahren für Propylenoxid heißt „Cooxidationsverfahren“. Weltweit hat etwa die Hälfte aller chemischen Fabriken schon heute die Vorzüge dieser Technik erkannt und arbeitet bereits damit. Rentabel ist die verhältnismäßig ungiftige Methode obendrein. Fischer ist sich jedenfalls sicher: „Ökologisch äußerst sinnvoll – und aus ökonomischer Sicht durchaus kostenneutral.“ Sollte die Chemieindustrie für ein geschätztes Investitionsvolumen von etwa zwei Milliarden Mark demnächst bei Propylenoxid tatsächlich auf das chlorfreie Herstellungsverfahren umsteigen, würde sich der Umfang der chlorchemischen Verfahren in der Bundesrepublik um 17 Prozent reduzieren. In seiner Hauptstudie, die im nächsten Jahr fertiggestellt werden soll, will das Prognos-Institut nun auch noch Konversionsmodelle für die PVC-Herstellung (32 Prozent), die Phosgenchemie (6 Prozent) und bei der Epoxidharzherstellung (2 Prozent) entwickeln. Klaus-Peter Klingelschmitt