Das Tief im Norden

Die Verlobung in Hamburg war schon perfekt, an der Hochzeit ist es dann gescheitert: Die Idee einer Koalitionsehe zwischen der SPD des eigentlichen Anti-GALiers Voscherau und der Grün-Alternativen Liste hat man vorgestern nacht annulliert. So richtig erstaunt ist niemand darüber. Doch wie weiter? GAL-Verhandlungschefin Krista Sager argwöhnt, mit dem Aus für ein Rot-Grün habe Hamburgs SPD ein Zeichen in Richtung Große Koalition gesetzt.

Große Koalition, Neuwahlen, Minderheitsregierung oder eine rot-graue Koalition der SPD mit der bürgerlichen Protestgruppe Statt Partei e.V.? Oder doch noch eine Wiederaufnahme der Koalitionsverhandlungen?

Einen Tag nach dem grünen Stopp der rot-grünen Koalitionsverhandlungen herrscht in Hamburg, vor allem aber bei den Sozialdemokraten, große Ratlosigkeit. SPD-Verhandlungsführer und Bürgermeister Henning Voscherau reagierte am späten Mittwoch: „Die Tür ist gegenwärtig zugeschlagen. Dies ist aus unserer Sicht bedauerlich. Es war auch unnötig.“

Nach 1981 und 1986 stehen damit nun schon zum dritten Mal rot- grüne Koalitionsverhandlungen in Hamburg vor dem vielleicht endgültigen Aus. Auch damals hatte die SPD nach herben Wahlniederlagen den Koalo-Plausch mit den Grünen gepflegt – allerdings nie ernsthaft eine Koalitionsregierung ins Auge gefaßt. Das geplant lustvolle Scheitern der Verhandlungen, Hamburgs Fundi-Grüne leisteten tätige Beihilfe, durfte jeweils zur Begründung von Neuwahlen herhalten, aus denen die SPD deutlich gestärkt hervorging. Sie konnte so 1982 mit absoluter Mehrheit, 1987 mit dem Wunschpartner FDP regieren. Diesmal lief das Spiel anders. Bis zuletzt hatte die SPD versucht, durch immer neue Angebote den Grünen das von der SPD verlangte bedingungslose Ja zu den Großprojekten Elbtunnelröhe und Hafenerweiterung schmackhaft zu machen. Ein „Energiekonsens in Norddeutschland mit den Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen“ und ein „Sonderprogramm zur Armutsbekämpfung in den Stadtteilen“ wurden von Hamburgs SPD-Chef Helmuth Frahm und Bürgermeister Voscherau noch am Mittwoch abend erstmals aus dem Ärmel gezogen – vergeblich. Krista Sager, Verhandlungschefin der Grün-Alternativen: „Die SPD war nicht bereit, auch nur bei einem einzigen ihrer großen Infrastrukturprojekte einen Kompromiß mit uns einzugehen. Damit war klar, daß wir unseren Wählerauftrag für eine rot- grüne Reformpolitik nicht einlösen können.“

Tatsächlich hatten sich die Koalitionsverhandlungen zuletzt an wirtschafts- und verkehrspolitischen Großprojekten, Voscheraus „Essentials“, festgebissen. Im Duell der roten und grünen Koalitionsvertragsentwürfe am vergangenen Wochenende waren als große Streitpunkte nur Elbtunnelröhre, Hafenerweiterung und der lokalpolitische Dauerbrenner Hafenstraße übriggeblieben. Eine Räumung der bunten Häuser am Hafenrand, das wußte die SPD, würde ein grüner Koalitionspartner nicht überleben. Ein gesichtswahrender Kompromiß für Voscherau, der sich öffentlich mehrfach für eine rechtsstaatliche Räumung ausgesprochen hatte, wäre, so versicherten SPD- Insider der taz, schon gefunden worden.

Der Streit um die Hafenerweiterung auf dem Gelände des traditionsreichen Fischerdorfes Altenwerder (Kosten: ca. 700 Millionen Mark) und den Bau einer vierten Elbtunnelröhre (Kosten: 500 bis 700 Millionen Mark) dagegen steht für einen weit tiefer gehenden Unterschied im Weltbild von SPD und Grünen. Voscherau hatte diesen Projekten vorab eine Art höhere Weihe verliehen: „Wir können Abstriche machen, aber Kompromisse mit der Wirklichkeit kann es nicht geben.“ Schließlich stehe die Bundesrepublik angesichts des „lichterloh brennenden Problems der Industriearbeitsplätze“ vor einem „dramatischen Themenwechsel“, der „die Stärkung des Arbeitsplatzes Hamburg hochvordringlich macht“.

Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Zukunft Hamburgs aber, so die Grünen, würden durch Großprojekte dieser Art erst recht gefährdet. Mit einer Wachstumspolitik im Stil der sechziger Jahre seien die Strukturprobleme nicht in den Griff zu bekommen. Krista Sager: „Diese Projekte sind ökologisch schädlich, wirtschaftlich unvernünftig und sozial unausgewogen.“ Voscherau mußte einräumen: „Die Sichtweise des Notwendigen und der Realitäten ist auf einigen Feldern ganz offenkundig verschieden.“ Zugeständnisse hatte die SPD den Grünen aber nur auf jenen politischen Feldern angeboten, die auch sozialdemokratische Herzen wärmen können: Sozialpolitik, Atomausstieg, Müllvermeidung, Fahrradpolitik. Kein Wunder, daß Hamburgs SPD- Linke vom Verlauf der Koalitionsgespräche lange Zeit richtig begeistert war: Krista Sager nannte die Kompromißstrategie der SPD spöttisch „ein Angebot der SPD- Rechten an die Linken zur innerparteilichen Sachkoalition“. Die Grünen dagegen forderten von der SPD Kompromisse auch dort, „wo es weh tut“. Aber, so Krista Sager: „Wir waren uns der bundespolitischen Verantwortung bewußt und haben Kompromisse angeboten, die von der Sache her weit über das hinausgehen, was eine 13,5-Prozent-Partei einer 40-Prozent-Partei zugestehen muß.“ Selbst der ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Jo Müller, Marke Oberrealissimo, kann es immer noch nicht fassen: „Die SPD nimmt uns unsere Existenz übel. Sie weigert sich, uns und die Probleme dieser Welt zu akzeptieren. So schlimm hatte ich es mir nicht vorgestellt. Die SPD ist ein nicht mehr lernfähiges Subjekt.“

Die Grünen stehen mit diesem Urteil nicht allein: Selbst konservative Medien wie beispielsweise die Welt bescheinigten der SPD Kompromißunfähigkeit, was einige Sozialdemokraten dazu brachte, von einer „gesteuerten Medienkampagne“ zu sprechen, die, so Voscherau, „uns als alte Betonköpfe darstellt, während die Grünen als kompetente, intelligente und junge Erneuerer erscheinen.“

Hatte Voscherau vor knapp vier Wochen, als eine knappe Mehrheit im SPD-Landesvorstand ihn zwang, mit den Grün-Alternativen zu verhandeln, eigentlich noch eine Koalition mit der neobürgerlichen Statt Partei e.V. angestrebt, so ist der Charme dieser Lösung inzwischen ziemlich verwelkt. Dieser Politverein, der bisher bewußt keinen Parteistatus angenommen hat, um seine Geldgeber nicht aufdecken zu müssen, ist heute bereits gespalten: „Autoritärer Führungsstil“ und „Besserwisserei“ sind nur ein Teil der Vorwürfe, denen sich Vereinschef Markus Wegner ausgesetzt sieht, dessen erfolgreiche Klage gegen das CDU- Verfahren zur Kandidatennominierung die Hamburger Neuwahlen am 19. September erzwungen hatte. Gleichfalls problematisch sind die Optionen Minderheitsregierung – die Parlamentsmehrheit könnte den Geldhahn abdrehen – und Große Koalition, die ein fatales Signal fürs Superwahljahr 1994 geben würde.

Also doch noch Rot-Grün? Krista Sager hält die Tür „einen kleinen Spaltbreit“ offen: „Falls es der SPD noch einfällt, daß auch ein größerer Partner mal Kompromisse eingehen muß – einige von uns stehen ja im Telefonbuch.“ Florian Marten, Hamburg