Machbarkeitswahn -betr.: "Ihr Leben hängt am Tod anderer", taz vom 29.10.93

Betr.: „Ihr Leben hängt am Tod anderer“, 29.10.93

Die Bildunterschrift unter der Illustration zum o.g. Artikel, die nämlich lautet: „Baukasten Mensch: Organ für Organ austauschbar“, trifft das Wesentliche. Wenn ich ein solches Menschenbild zugrunde lege, dann kann ich „mit Aufklärungsarbeit für mehr Bereitschaft zur Organspende werben.“ Vielleicht wäre hier aber über ein falsches Menschenbild aufzuklären, über schreckliche Folgen, die das Transplantationswesen längst zeitigt, bis zur Ermordung von Menschen, um sie ausweiden und ihre Organe teuer verkaufen zu können, aufzuklären wäre vielleicht auch über die Willkür der Gleichsetzung von Hirntod mit Tod und wohl auch darüber, daß hier von seiten der Ärzte keine Liebe zu Menschen am Werk ist, sondern der Machbarkeitswahn, der sich auf nahezu allen Gebieten des Lebens heute austobt. Wenn das nämlich anders wäre, würde gerade von ärztlicher Seite viel mehr in Richtung Vorbeugung gearbeitet. Was Organtransplantation betrifft, hat Jürgen Dahl in seinem Aufsatz: „Hat der schwarze Kutscher recht?“ (in „Die Verwegenheit der Ahnungslosen“, bei Klett-Cotta herausgebracht) alles Wissenswerte zusammengestellt. Wir können unserem Schicksal, einschließlich unserer Sterblichkeit nicht davonlaufen, indem wir uns zum Baukasten umdefinieren. Und wenn die Menschen bei uns, vielleicht doch aufgeschreckt durch die Vorgänge um den Erlanger Foetus, nicht mehr so rasche Organentnahme genehmigen, läßt das hoffen, daß wir nicht mehr den Fehler machen, uns etwas als Tod der Nächstenliebe einreden zu lassen, was zutiefst der Menschenwürde widerspricht und schreckliche Folgen zeitigt.

Name und Adresse der Schreiberin sind der Redaktion bekannt.

Betr.: „Der Ausstieg aus der GAL“ und „Schlechter Rat ist teuer“, 3.11.93