Erfahrungsmuster: Blume

■ „Wegblicken“: Nachdenken über Kunst mit Werner Hofmann

Anläßlich des 65. Geburtstages des Grandseigneurs der aufklärerischen Kultur- und Kunstgeschichte, des ehemaligen Kunsthallen-Direktors Werner Hofmann, hat die Europäische Verlagsanstalt zwölf Polemiken zur Kunst und einen Brief in dem Essay-Sammel-Bändchen Wegblicken herausgegeben. 1990 und 91 hatte Hofmann tagebuchartige Essays zu kulturellen und künstlerischen Ereignissen in der Schweizer Zeitschrift Du geschrieben, die nun über das Auskunft geben, was den Kenner berührte und bewegte.

Wegblicken mit Werner Hofmann, das heißt sich auf den Weg zu machen, auch einmal auf die Nebenschauplätze und Alltagsereignisse im Gesamt-Haushalt des Kunst-Diskurses zu blicken, die Gedanken müßiggängerisch schweifen zu lassen, Lese-Lust an einer Form des schreibenden Annäherns und Denkens zu entwickeln und zu lernen, das Feld der Kunst als eingebunden in den gesamten Komplex und die Komplexität von Gesellschaft - ob vergangen oder gegenwärtig - zu begreifen.

Und so verwundert es auch nicht, daß jedem der 13 Aufsätze ein Eingangs-Zitat von Noam Chomsky, aus seinem Buch über den Golf-Krieg U.S. Gulf Policy, vorangestellt ist: Der Golf-Krieg und die Berichterstattung über ihn, haben die Werte von Wort und Bild radikal in Frage gestellt und wirken somit gesamtgesellschaftlich nach.

Polemisch pointiert liest sich das in Hofmanns Worten unter der Überschrift „Kinder, Kenner, Kunst“ wie folgt: „Jeder hat doch hier die gleichen Chancen! Durften die Schwarzen nicht auch im Wüstenkrieg mithalten? Die Sprache dient der Verherrlichung. Sie beschönigt das Häßliche. Als die Bilanz der Toten des Golf-Krieges veröffentlicht wurde, sprach General Kelly von 28 K.i.A. Das heißt ,Killed in Action'.“ Über diesen Weg und Blick gelangt Hofmann dann zu dem Künstler Tim Rollins, dessen soziales, herausragendes Kunstprojekt mit den Kids aus der Bronx K.O.S. folgerichtig ,Kids of Survival' heißt.

Wenn der Kunsthistoriker unter dem Stichwort „Erfahrungsmuster“ Blumenporträts von Mondrian beschreibt, wird es kunsthistorisch und poetisch zugleich. Diese Kunst des schreibenden Denkens, die ja eine große Tradition über Diderot, Friedrich Schlegel, Goethe und Adorno hat, wird unserer Tage von Kunst-Bürokraten zu Unrecht angegriffen: „...die durchsichtige Schönheit der Blumen Mondrians. Ihre behutsame, genaue Wiedergabe hat weder die Merkmale der Stilisierung noch der Flüchtigkeit. Alles ist frei und leicht, botanisch verläßlich, aber nicht für ein Herbarium bestimmt. Jede Blume ist sie selbst und nicht ihr Prototyp.“

Diese Art der Kunstbetrachtung, ihre Verschachtelung selbst, schützt Kunst, Autor und Leser vor mißverstandener Aufklärung und läßt eigenes Sehen und Denken frei.

Bedauerlich, daß es der Verlag nicht für nötig befand, zumindest einen Teil der besprochenen Kunstwerke abzubilden und die gelehrten und lehrreichen Hinweise auf Zitate, Werke und Bücher in einem Anhang wissenschaftlich aufzuführen. Nicht jedeR, dem dieses Buch Vergnügen bereiten könnte, spricht französisch, kennt Pavel Tchelitchew oder weiß, wo Brechts Satz: „Das komplexe Sehen muß geübt werden“ zu finden ist. Das liebevolle Herausgeben von Büchern muß auch geübt werden.

Gunnar F. Gerlach

Werner Hofmann, Wegblicken, Europäische Verlagsanstalt, 1993, 80 Seiten, 26 Mark