„Nicht verdummen“

■ taz-Serie über die Hintermänner der Theater / Heute: Wilfried Schulz, Dramaturg im Deutschen Schauspielhaus

Alles neu / macht der Mai / und in regelmäßigen Abständen auch das Deutsche Schauspielhaus. Nicht nur ein neuer Intendant winkt derzeit aus der Kirchenallee; auch ein neues Theatermagazin, ein neues Ensemble und eine frisch renovierte Kantine als neuer nächtlicher Spielort erwarten das Publikum. Verantwortlich für die Veränderungen zeichnet ein selten erwähnter Mann im Hintergrund: Wilfried Schulz, Chefdramaturg. „Mich interessiert Theater als Gesamtgefüge. Als Gesamtkunstwerk, das sich einer Stadt präsentiert: daß die Leute wissen, da wird ein Theater gemacht, das genau das versucht.“

Was „genau das“ ist, zeigt der Spielplan, den Dramaturgie und Intendanz erarbeitet haben: Er ist bestimmt von aktuellen Stücken und jungen Regisseuren. Goetz, Jelinek, Haußman - Leute, so Schulz, die die Welt etwas komplizierter und zerstörter wahrnehmen und das auch in ihrer Arbeit spiegeln. „Nur im Theater denkt man immer, daß es eine ordentliche Geschichte mit Anfang und Ende geben muß. Es gibt so eine ,20 - 22 Uhr Ästhetik', die mir die Bissen ganz klein schneidet und wie Kartoffelpürree reinschiebt, damit ich bloß nichts mehr zu kauen habe. Damit ich nicht einen Moment das Gefühl habe, etwas nicht zu verstehen. Das ist doch“, bemerkt der studierte Theaterwissenschaftler und Politologe mit ehrlicher Enttäuschung, „meilenweit zurück hinter der Entwicklung in der bildenden Kunst, dem Film und anderen Medien.“

Die Prinzipien, mit denen Schulz das Theater wieder auf die Höhe der Zeit bringen will, widersprechen dem Zeitgeist auf den ersten Blick: Langsamkeit und Konzentration. Das Theater habe sich in letzter Zeit zu billig und platt angeboten, beanstandet der geborene Berliner und verordnet Selbstbewußtsein. „Ich habe nichts gegen Unterhaltung. Aber ich habe etwas dagegen, öffentliche Gelder für Sachen auszugeben, die sich auch privat finanzieren lassen. Wenn wir viel Geld bekommen - und das kriegen wir - haben wir die Aufgabe, kompliziertere Formen der Wirklichkeitswahrnehmung auf die Bühne zu stellen.“ Subvention verpflichtet.

Ans Theater kam Schulz eher zufällig, um nicht zu sagen, er ist dorthin geflüchtet. Nach dem Studium war er gerade fünf Jahre Assistent an der Hochschule der Künste in Berlin, als man ihm eine Professur anbot - mit dreißig. Der Gedanke, vom Lernen sofort zum Lehren zu wechseln, erschreckte ihn so, daß er die Stadt verließ. Es folgten vier Jahre am Theater der Stadt Heidelberg, dann ging er nach Stuttgart zu Ivan Nagel, „dem klügsten Kopf des deutschen Theaters“, wo er auch Frank Baumbauer kennenlernte. Mit letzterem übernahm er 1988 das Theater Basel und als eingespieltes Team kamen sie diesen Sommer nach Hamburg. „Natürlich haben wir nicht immer das gleiche Urteil, aber man weiß doch, wo man ästhetisch zu Hause ist“, sagt er, die Worte stets mit Bedacht wählend. Neben seinem geschäftsmännisch wirkendem Intendanten sieht der schmächtige Schulz mit seiner runden Brille eher wie ein freundlicher Theologiestudent aus. Es freue ihn, sagt er, daß die Phase der allgemeinen Befindlichkeitsdiskussion vorbei sei und die Außenwelt wieder auf die Bühne Einzug halte. Es frustriere ihn, nach dem Lesen von zehn neuen Stücken feststellen zu müssen, daß zum Thema Ausgrenzung noch immer Faßbinders Katzelmacher das Spannendste auf dem Markt sei.

Eigene Schreib- und Regieambitionen hat Wilfried Schulz nicht. Das Feld des Dramaturgen reizt ihn, weil es in Theorie und Praxis die Möglichkeit bietet, sich mit ganz unterschiedlichen Bereichen zu beschäftigen: „Also Sie haben hier die Chance - und das hat mich auch von der Uni weggeführt -, wenn Sie sich ein bißchen Mühe geben, nicht zu verdummen.“

Christiane Kühl