Nachrichten aus dem Primärquellenhort

■ Brav recherchiert: Neun „Berliner Profile“ der Weimarer Zeit

Eine „Menschenwerkstatt“ nannte Heinrich Mann Berlin einmal – eine Schmiede, die die kulturell bedeutendsten Köpfe des frühen zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland hervorbrachte. Der Theaterkritiker Alfred Kerr gehörte dazu; als wortkarger Zeitgeist wurde er zunächst Zeuge und Prophet des Naturalismus. Seine leidenschaftlichen Wertungen und sein pointierter Stil brachten ihn zum renommierten Berliner Tageblatt und damit auch zu dem bedeutenden Chefredakteur Theodorf Wolff. In diesem Zusammenhang muß auch der Verleger des Tageblatt, Rudolf Mosse erwähnt werden. Oder der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch. Sie alle waren scharfsinnig, kritisch und erfolgreich – keine untypischen Karrieren vor dem politischen und sozialen Hintergrund der Weimarer Republik. Berlin der Zwanziger, das waren auch: Kurt Tucholsky, der brillante Polemiker, der dem Volk gern „aufs Maul“ geschaut hat, der Theatermann Leopold Jessner, der Publizist und „Propagandist deutscher Kultur“ Julius Bab und Paul Schlesinger – seines ungewöhnlichen Zeichens Justizkritiker für das Feuilleton.

Den Genannten sind, setzt man noch den Namen des Kulturphilosophen Walter Benjamin hinzu, exemplarisch für viele, die Portraits des Sammelbandes „Berliner Profile“ gewidmet: gewissenhaft recherchierte und literarisch am Stil des Weimarer Feuilletons orientierte Artikel. Ein vorzüglicher Beitrag zur Literatur- und Theatergeschichte ist das Buch allemal. Allerdings zeichnet es sich mehr durch brave, sterile Forschungsarbeit im Primärquellenhort aus, als durch jene prägnante Profilierung, die einen Lebenslauf lebendig und vorstellbar macht.

Mit dem vorliegenden Bändchen zeigen sich die Früchte teils langjähriger Untersuchungen. Die Autoren gehören dem Berliner Institut für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissenschaften der Freien Universität an. Hermann Haarmann, Erhard Schütz, Klaus Siebenhaar und Bernd Sösemann wollten in den neun Portraits nicht nur „dieses geistig-kulturelle Klima“ des alten Berlins zurückbeschwören, sondern auch „die individuellen Schicksale und das Elend des Endes nicht vergessen“. Mit spürbarer Distanz legen sie dabei das Gewicht des Interesses eher auf deutsches oder Berliner Schicksal. Nicht wegzudenken ist jedoch das Gemeinsame aller: die jüdische Herkunft. Nur vorsichtig skizziert, bedeutet sie einen wichtigen Meilenstein für den Lebensweg und gewährt Einblick in die facettenreiche deutsch-jüdische Kulturwelt Berlins. Von Julius Bab, der dem deutsch-konservativen Lager nahestand, bis zum jiddischsprachig aufgewachsenen Prager Egon Erwin Kisch verband sie alle ein trauriges Schicksal: den durch aufgezwungenes Exil zu verkraftenden, fast gänzlichen Verlust des Deutschen als lebensunterhaltende Arbeitssprache, derer sie sich mit Bravour bedienten.

Der Freund und Leidensgenosse der Portraitierten, Hans Sahl, lehnte höflich, aber direkt die Bitte nach einem Vorwort ab. Seine literarische Vorstellungskraft, so der Publizist, reiche nicht aus, „um irgend etwas Zusammenfassendes über eine Epoche, die in Auschwitz endete, zu Papier zu bringen“. Ihre eigene Befangenheit im Umgang mit der Thematik bewiesen die Autoren schließlich durch das ausgelassene Vorwort. Der Verlust dieses unmittelbaren Zugangs zu Vergangenem, der Authentizität vermittelt hätte, zeigt auch die Grenze der Wissenschaft. Sabrina Goldemann

„Berliner Profile“ von Bernd Sösemann, Hermann Haarmann, Erhard Schütz und Klaus Siebenhaar. Fannei & Walz, 160 Seiten, 32 Mark.