Das Buch zum Hof

Die Hackeschen Höfe von Berlin – eine Neuerscheinung, die zum Flanieren einlädt  ■ Von Caroline Roeder

In den Bauch der Hackeschen Höfe kommt man von der Rosenthaler Straße. Zur Zeit kreischen hier allerdings weniger die Straßenbahnen, sondern eher die Baumaschinen. Durchwandert man die Höfe bis zur Sophienstraße, so flaniert man durch einen Mikrokosmos der Stadt Berlin um 1900.

Wer die Hackeschen Höfe nicht kennt, sollte die Zeitung unter den Arm klemmen und sich dorthin aufmachen. Von der S-Bahn-Station Hackescher Markt muß man nur den Platz überqueren, um vor dem Bau zu landen.

Die unscheinbare Hausfront nach außen täuscht, durch die Hofeinfahrt gelangt man in den ersten Gewerbehof und sieht die volle Pracht der Jugendstilgestaltung. Die Fassade ist durch verschiedenfarbig glasierten Backstein geschmückt, die Ornamentik verweist auf den sezessionistischen Stil: Ein wunderschöner Hof, auch noch im heutigen, leicht angegrauten und abgeblätterten Zustand.

Der Hackesche Markt entstand um die Mitte des 18. Jahrhunderts, benannt nach dem damaligen Stadtkommandanten Graf von Hacke, der den Marktplatz und einige Nebenstraßen anlegte. Die Hackeschen Höfe selbst wurden von dem Skandalarchitekten August Endell gebaut, der sich mit der alle Konventionen sprengenden Jugendstilfassade des Elvira-Fotostudios in München einen Namen gemacht hatte. Für das Gesamtkonzept der Hackeschen Höfe, ein gut durchdachter, wirtschaftlichen und modernen Kriterien genügender Bau, hatte man einen illustren Architekten gesucht. Endell machte die Höfe nicht nur durch seinen Namen berühmt.

Die Hackeschen Höfe sind ein Zeugnis frühen Spekulantentums. Die Häuser Nr. 41/42 der Rosenthaler Straße sowie das Grundstück in der Sophienstraße 6 wurden 1904 von einem Herrn Quilitz aufgekauft. Er kündigte die darin Wohnenden und Gewerbetreibenden sowie die hier beheimatete Volksküche und begann zügig mit den Abbrucharbeiten.

Die Gegend um die Rosenthaler Straße, die sogenannte Spandauer Vorstadt, erlebte Ende des vorigen Jahrhunderts eine Art zweite Gründerzeit. Das gesamte Umfeld war zum innerstädtischen Kerngebiet geworden, ein mit erheblichen Investitionen geführter Konkurrenzkampf um die potenteste Geschäftslage in der City wurde ausgetragen. Der härteste Gegner war hierbei das Geschäftsviertel um den Alexanderplatz. In Berlin waren die ersten Warenhäuser eröffnet worden, die Kaiserpassage Unter den Linden und die Friedrichstraßen-Passage, dessen Ruine heute das Tacheles beheimatet, warben um die KäuferInnen.

In der Rosenthaler Straße wurde sogar eine Versuchsstrecke für eine Schwebebahn gebaut, die 42 Meter lang und bis 1913 in Betrieb war. In dieser prosperierenden Stimmung entstand die Idee eines Gewerbehofes, dem Vergnügungsunternehmen und Mietraum angegliedert werden sollten. „Es handelte sich um eine Art Mischkalkulation, die auf mehreren Beinen stand und so das Risiko schwankender Ertragsmöglichkeiten abzufedern versuchte“, schreibt hierzu Alexander Haeder in seinem umfassenden Aufsatz, in dem er neben der Entstehung der Höfe ein Stück Berliner Baugeschichte darstellt. Die hier realisierte Kombination von Arbeit, Wohnen und Unterhaltung entsprang also keinesfalls einer kulturellen oder sozialen Idee des Bauens.

Geht man vom ersten Hof weiter, so folgen nach verschiedenen Einfahrten weitere Gewerbehöfe, die allerdings nicht mehr so schmuckvoll ausgestattet sind. Angrenzend an den alten jüdischen Friedhof liegen im hinteren Bereich dann die Höfe mit den Mietwohnungen. Viele davon haben Balkone, alle sind mit Badezimmer, Innentoilette und Zentralheizung ausgestattet. Der gehobene Wohnungsstandard verweist auf die damaligen Mieter: Angehörige der Mittelschicht, Beamte, Kaufleute. An der Mieterliste läßt sich ein Stück jüdischer Geschichte nachzeichnen. Fast alle wurden vertrieben, verhaftet oder ergriffen die Flucht.

Müde vom Hofspaziergang kann man sich abends im Sophienclub, dem Varieté „Chamäleon“ oder dem Hackeschen-Hof-Theater vergnügen und dabei die Innenräume bewundern. Zur Nachbereitung wird Neugierigen das neue Buch vom Argon Verlag wärmstens empfohlen. Hier finden sich nicht nur eine Menge wissenswerter Details, sondern auch Gespräche mit Anwohnern und hier arbeitenden Künstlern werden dokumentiert. Reich bebildert wird man durch die Höfe geführt und erfährt in den Aufsätzen viel zur Berliner Stadtgeschichte und politischen Historie – weitaus mehr, als man von sonstigen Stadtführern gewohnt ist. Dennoch: Einen Ortstermin sollte das Buch nicht ersetzen.

„Die Hackeschen Höfe. Geschichte und Geschichten einer Lebenswelt in der Mitte Berlins“. Herausgegeben von der Gesellschaft Hackesche Höfe, Argon Verlag, 136 Seiten, geb., 29,80 Mark

„Wie wundervoll braust der satte, dunkle Ton einer Trambahn in voller Fahrt, rhythmisch gegliedert durch das schwere Stampfen des Wagens, dann allmählich hineinklingend das harte Schlagen auf den Schienen, das Klirren des Räderwerkes, das Schlirren der Rolle und das lang nachzitternde Zischen des Zuführungsdrahtes. Stundenlang kann man durch die Stadt wandern und ihren leisen und lauten Stimmen zuhören, in der Stille einsamer Gegenden um dem Tosen geschäftiger Straßen ein viel verschlungenes seltsames Leben spüren. Es fehlen die Worte, den Reiz all dieser Dinge zu sagen.“ (August Endell)