Den faulen Langzeitstudenten gibt es nicht

■ In Teilzeit jobben sich viele Studenten während des Studiums in ihren künftigen Beruf hinein, ermittelt eine bislang unveröffentlichte Studie des Studentenwerks / Zweiklassengesellschaft in ...

Die Bezeichnung Langzeitstudent hat zumindest für Berlin ausgedient. 40 Prozent der StudentInnen mit Nebenjob arbeiten bereits während des Studiums in einem Berufsfeld, das ihrer späteren Studienqualifikationen voll entspricht. Das ergab eine bislang unveröffentlichte Studie des Studentenwerks über „das soziale Bild der Studenten in Berlin“. Diese Studenten, so interpretierte der Psychologe Roland Hahne gegenüber der taz, studierten nicht etwa lange, weil sie faul seien. Sie betrachteten vielmehr Arbeiten und Studieren als gleichrangige Nebentätigkeiten, ausgeübt jeweils in Teilzeit.

Beispiele dafür gibt es zuhauf bei Architekten, Landschafts- und Stadtplanern. Karin Meier etwa (Name von der Red. geändert), im 12. Semester Landschaftsplanerin, ist seit einem Jahr fest in die Arbeit eines Planungsbüros eingebunden. Sie verdient dort ihren Lebensunterhalt. Die noch zu schreibende Diplomarbeit ist als Einstellungsvoraussetzung nur noch eine Formalität für Karin, die bereits früh begann, bei Landschaftsplanungs- Büros zu jobben. Das Problem Karins stellt sich ganz anders: Wie die – von Anmeldung bis Abgabe zeitaufwendige – Diplomphase mit dem Beruf koordinieren?

Die Umfrage beruht auf der dreizehnten Sozialerhebung des Studentenwerks, die erstmalig Studierende in Ost- und Westberlin verglich. Ermittelt wurde eine klare Zweiklassengesellschaft: 70 Prozent der Weststudenten stand 1991 zwischen 800 und 1.200 Mark monatlich zur Verfügung. Im Osten nahmen drei Viertel dagegen nur 400–800 Mark ein.

Auch die Haupteinnnahmequellen unterscheiden sich deutlich, von der Stütze aus den elterlichen Portemonnaies abgesehen: Im Osten finanzieren sich neun von zehn StudentInnen über Bafög, im Westen dagegen jobben 71 Prozent nebenher. Dieser zusätzlich erwirtschaftete Unterhaltsanteil nimmt – als Langzeiteffekt im Westen betrachtet – kontinuierlich zu. Weggefallen sein dürfte hingegen der hohe Anteil, den die DDR-Stipendien auch 1991 im Osten noch ausmachten. 330 Mark bekamen die Studierenden aus den ehemaligen Leistungsstipendien, die das in der DDR übliche Grundstipendium aufstockten.

Die alten Stipendien „brechen zur Zeit völlig weg“, erläutert dazu Roland Hahne aus dem Studentenwerk. Seine Zahlen zeigen den Stand von 1991 an. Bundesweit wurde die Erhebung bereits veröffentlicht, die jeweilige regionale Auswertung zog sich länger hin.

In Berlin befragten die Sozialforscher des Studentenwerks 1.800 Studierende. Das gelte als repräsentativ, meinte Hahne. Im Osten bezieht sich das jedoch nur auf die Humboldt-Universität. Studierende anderer Einrichtungen seien nicht interviewt worden, weil deren Zukunft 1991 noch höchst ungewiß war.

Gesamtberliner Einigkeit bestand über die Professoren: Die sind schlecht, meinen die Studenten. Für die individuellen Fähigkeiten gab's eine 4 (bei fünf Noten) im Westen, eine 4+ im Osten. Die Didaktik wurde mit 3- und 3 benotet. Miserabel ist die Betreuung der Studenten, das ergab auch diese Umfrage. Auf den Satz: „Der Prof gibt mir einen guten Überblick über meinen Leistungsstand“ sagten die allermeisten: „Das trifft überhaupt nicht zu.“ Das sei ein wichtiger Faktor für Prüfungsängste, schätzt der Psychologe des Studentenwerks Hahne. Die Studenten wüßten nicht, wo sie leistungsmäßig stünden, und hätten so sehr oft das Gefühl, nicht genug getan zu haben.

Damit hängt wohl auch zusammen, daß die Studierenden die Leistungsnormen als zu hoch einschätzen – in Ost- wie Westberlin. Bedauert wird hingegen von den Studierenden, daß sie in ihren individuellen Fähigkeiten nicht genug gefordert werden. Das sei ein allgemeines Problem an den Universitäten, meinte Roland Hahne. Besonders bedrängend empfänden es der Umfrage nach die Studenten des Gesellschaftswissenschaften und die der Medizin. Psychologen, Juristen, Wirtschaftswissenschaftler – sie alle geben eine vier für das persönliche Gespräch zwischen Professor und Student. Christian Füller