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"Eine Zahl reicht nicht"

■ Senator Hassemer stellt geänderten Flächennutzungsplan vor / 2.000 Änderungen, aber dem Bürgerwillen wird kaum entsprochen

Die Planung für eine gesamte Stadt und auch noch für die kommenden 20 Jahre ist nur schwer darzustellen. Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) hatte gestern dann auch Probleme, die Veränderungen im neuen Entwurf des Flächennutzungsplans (FNP) zu verdeutlichen, gegen den 85.000 Bürger Einwände erhoben hatten (die taz berichtete). Er könne auf Anhieb 30 Änderungen benennen, sagte Hassemer, doch die Journalisten fragten kaum nach. Aus gutem Grund: Schon als der CDU-Senator zuvor die „gewichtigen“ Modifikationen – vier an der Zahl – benannte, verlor er sich im Detail.

Obwohl Bürger sich massenweise gegen neue Straßen, Bauflächen und geplante Müllverwertungsanlagen ausgesprochen hatten, hat die Stadtentwicklungs- Verwaltung höchstens die Lage neuer Straßen geändert und Bauflächen sowie die Größe von Müllzentren verkleinert.

Zu den „wesentlichen“ Abwandlungen zählt die Reduzierung der Baufläche in Biesdorf-Süd. Die Fortsetzung des westlichen Autobahnrings (A-10) wird zwischen der Frankfurter Allee und dem geplanten Autobahndreieck in Neukölln nun untertunnelt. Die Kapazität des geplanten Umwelt- und Recyclingzentrums (URZ) in Pankow wird verringert.

Wie weit auf die 130.000 Einwendungen zu insgesamt 2.000 Vorhaben und Themen von der Senatsverwaltung eingegangen ist, war gestern nicht zu klären. Hassemer behauptete zwar, daß man „weit mehr“ als in der Vergangenheit auf die Vorschläge reagiert habe. Auch schloß der Senator, daß der FNP 93 auf eine höhere Akzeptanz treffe, weil im Vergleich zum Verfahren von 1986 nur die Hälfte der Bürger Änderungen gefordert hatten. Es mache sich bemerkbar, daß es diesmal bereits im Vorwege Gespräche mit Interessensverbänden und Initiativen gegeben habe.

Dennoch gelang es dem Senator nicht, die 2.000 Veränderungen in ein Verhältnis zu den 130.000 Einwänden zu setzen – obwohl dies nicht schwer gewesen wäre. Denn seine Verwaltung hat alle Planungen, zu denen jeweils mehr als 500 Widersprüche gekommen waren, in einer Liste zusammengefaßt (diese war am vergangenen Wochenende in Tageszeitungen inseriert). Doch die dort aufgeführten 51 Projekte wurden gestern nicht durchgegangen. Verzichtete Hassemer auf einen Abgleich mit den Einwendungen, weil nur in weniger als einem halben Dutzend der Fälle dem Willen der Bürger kompromißlos entsprochen wurde?

Ein Festhalten der Planungen begründete Hassemer am Beispiel der Nordtangente – mit 5.200 Einwendungen auf Platz drei der Liste – wie folgt: Für die Tangente gebe es die besseren Argumente. Ob er bei 150.000 Einwendungen das Vorhaben gestrichen hätte? „Eine Zahl allein reicht nicht“, antwortete der Senator.

Mit der gestrigen Vorstellung beginnt nun das reguläre Bürgerbeteiligungsverfahren. Ab jetzt ist für weitere Veränderungen das Abgeordnetenhaus zuständig, daß vor der Sommerpause 94 den FNP verabschieden soll. Dirk Wildt

Ab Montag vier Wochen lang: Ausstellung des FNP und Erläuterungsbericht bei der Informationsstelle Friedrichstraße 104 und allen Bezirksämtern. Dort gibt es auch Formulare für Einwendungen.

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