Der Fisch stinkt am Kopf zuerst, lautet das eherne Mobbing-Gesetz

■ Mobbing oder psychischer Streß und verschleppte Konflikte im Job / Wenn die Kollegen beim Rausschmiß nachhelfen, liegt der Fehler meistens in der Chefetage / Je undurchsichtiger die Geschäftspolitik, desto größer das Hauen und Stechen im Betrieb

Der 43jährige Dreher Jörg P. leidet unter Durchfall. Immer wieder fehlt er einige Tage am Arbeitsplatz. Die Verdauung läßt ihn nicht vom Klo. Medikamente helfen kaum.

Jörgs Betrieb steckt in einer Krise. In nächster Zeit sollen Stellen abgebaut werden. Jörgs Arbeitsplatz ist möglicherweise davon betroffen. Jörg lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in einer Werkswohnung. Wenn er seinen Job verliert, droht ihm also nicht nur die Arbeits-, sondern auch die Obdachlosigkeit. Am Arbeitsplatz führt der Konkurrenzdruck zu immer stärker werdenden Aggressionen. Sein Kollege schiebt ihm fehlerhafte Produkte unter und bezichtigt ihn beim Vorgesetzten wegen irgendwelcher Bagatellen. Wenn Jörg nach der Krankheit wieder im Betrieb auftaucht, fehlen ihm wichtige Werkzeuge. Persönliche Sachen sind beschädigt oder verschwunden. Jörg traut sich aber nicht, Beschwerde einzulegen. Dem Arzt ist nun einiges klar. „Sie haben nicht Durchfall. Sie haben im wahrsten Sinne des Wortes ,Schiß‘. Sie leiden unter Mobbing“, lautet seine Diagnose.

„Mobbing“, das ist das Fachwort für verschleppte Konflikte und psychischen Streß im Beruf. Statt Konflikte und Streit offen auszutragen, wird in vielen Betrieben eine falsche Nett-Kultur betrieben: Freundlich lächelnd begegnet man sich. Hallo, wie geht's. Küßchen hier, Küßchen dort. Doch hinter der fröhlichen Fassade lauert der Psycho-Krieg. Kaum ist der Kollege draußen, wird über Fehler gelästert. Mit fiesen Intrigen, zu denen oft auch angebliche Rücksichtnahme gehört, spielen sich die „PartnerInnen“ am Arbeitsplatz gezielt gegeneinander aus. Ohne Rücksicht auf Verluste werden einzelne systematisch schikaniert.

Wie es dazu kommt, war lange ein Rätsel. Inzwischen weiß man: Täter und Opfer können bei diesem Spiel alle werden; rein statistisch wird jeder vierte in seinem Leben einmal „gemobbt“. Mobbing ist ein Systemfehler, bei dem viele Faktoren zusammenkommen. Entscheidend ist die gesamte „Unternehmens- und Streitkultur“, weiß Henry Walter, Geschäftsführer der Gesellschaft für Kommunikation und Weiterbildung, in seinem aktuellen Buch über Mobbing zu berichten: „Nur ein Unternehmen, in dem laut gedacht, offen geredet und ehrlich gestritten wird, ist mobbingfrei. In vielen Unternehmen gibt es ein Aggressionsverbot. Ein Chef, der in sein Unternehmen nicht emotionale Offenheit hineinträgt, produziert Mobbing.“

Auch im Fall von Jörg P. sieht der Mobbing-Experte vor allem Versäumnisse bei der Geschäftsleitung: „Die Unternehmer betreiben Mobbing hier als eine Art von Führungsstil. Sie glauben offenbar, daß ihre Mitarbeiter besonderen Ehrgeiz zeigen, wenn sie in Konkurrenzdruck zueinander gebracht werden. Also lassen sie die Angestellten bewußt im unklaren darüber, wer gekündigt wird und wer bleiben kann.“

Schlechte Informationspolitik sei, so Walter, die häufigste Form von Chef-Mobbing. Die Schikane kommt in kleine Dosen. Bröckchen für Bröckchen werden gezielt unter die Mitarbeiter gestreut. Den Rest besorgt die Mitarbeiterschaft im täglichen Kleinkrieg untereinander. Modernes Divide et impera qua Kommunikation sichert die Machtposition des Chefs.

Auch Jörg P. ist dabei, in die Mobbingfalle zu tappen. Die unklare Personalpolitik seiner Firma hat ihn im wahrsten Sinne des Wortes „gekränkt“. Er sorgt sich, für den Betrieb nicht wertvoll genug zu sein. Die Angst vor der Arbeitslosigkeit, die auch Jörg P. auf der Seele lastet, oder besser: auf den Magen drückt, entlädt sich wortwörtlich „hintenrum“. Er steckt in einem Teufelskreis aus Angst und Krankheit: Je häufiger er krank ist, desto größer wird seine Angst, den Job zu verlieren; je größer seine Angst, desto häufiger wird er krank.

Der Ausweg führt den Dreher jetzt nicht mehr in die Apotheke. Er geht zum Betriebsrat, der ihm bei einem offenen Gespräch mit seinem Kollegen beistehen soll. Denn der versucht ja vermutlich über den „Terror“ gegen Jörg, nur seinen eigenen Arbeitsplatz zu sichern.

Ein Gespräch zwischen Jörg und seinem Kollegen kann aber nur dann ein wirklich positives Ergebnis haben, wenn die Ursache ihres Konfliktes, der Konkurrenzdruck und die drohende Arbeitslosigkeit, beseitigt ist. Deshalb braucht Jörg vom Betriebsrat auch ausreichend Unterstützung, um die Firmenleitung zum Umdenken zu bewegen. Denn immerhin sucht der Betrieb ja einen Ausweg aus der Krise, die den Stellenabbau erst nötig macht.

„Sich gegenseitig fertigmachen, die Mitarbeiter durch schlechte Informations- und Personalpolitik zu verunsichern und damit zu demotivieren, ist wohl das Dümmste, was ein Unternehmer in einer Krisensituation tun kann“, behauptet Henry Walter. „Wenn wirklich Stellen abgebaut werden müssen, dann bitte schnell und eindeutig. Dann können sich die Entlassenen nach einem neuen Betätigungsfeld umsehen und wissen, woran sie sind.“

Nur die Unternehmensleitung kann für solche Klarheit sorgen. Das eherne Mobbing-Gesetz lautet schließlich: Der Fisch stinkt am Kopf zuerst. Claudia Cornelsen

Buchtip: Walter, Henry: „Mobbing – Konflikte erkennen, offenlegen und lösen“, Campus Verlag, 38 Mark.