■ Press-Schlag
: Dem Puschel verfallen

Ich wollte nur mal eine Nase riskieren. Eine halbe Stunde später steckte ich bis zum Hals in Puscheln. „Nicht so rumquietschen! Tiefe Stimme und dann laut alle zusammen im Chor: „Ready?“ „O.k.“ „Hit it!“ Peinliches Gemurmel, verschämte Blicke, Krakeelen in öffentlichen Parkanlagen? Doch Flucht ist ausgeschlossen. 18 Frauen auf einer riesigen Wiese im Hamburger Stadtpark, da gibt's kein Entkommen. Irena Evers, Obercheerleaderin der HSV-Tigers, hat uns fest im Griff. „Beim Cheerleading müßt Ihr schreien. Wenn Ihr so pfiepst, versteht Euch kein Mensch! Nochmal schön rhythmisch, der ganze Cheer: „Victory, victory can't be stopped. Tigers Team back to top.“

Wir brummen lauter. Bis unvermutet nostalgische Erinnerungen aus den Tiefen der verschütteten Studentenseele hochkriechen; Erinnerungen an damals, mit der Bezugsgruppe beim Demo-Training. „Klassenkampf, macht dem Imperialismus Dampf!“ Doch statt der roten Fahne weht nun der rotglühende Puschel – Wahrzeichen des Klassenfeindes. „Victory, victory can't be stopped ...“

„Fangt bloß nicht an, die Cheers zu übersetzen, das ist hanebüchener Schwachsinn.“ Hirn abschalten und üben. „Tigers Team beat the Redskins.“ Ein Hoffnungsschimmer. „Beat the skinheads“, schreien wir renitent. Doch Irena bleibt hart. Redskins, Redskins, Redskins. So nämlich heißen die Konkurrenten des eigenen American Football Teams. Und das haben wir gefälligst hingebungsvoll zu lieben, deren Feinde abgrundtief zu hassen, das gehört zum Job. Football ist Krieg, Cheerleading der Schlachtgesang.

So, wie die Kämpfer auf dem Feld brutaler sein müssen als die Widersacher, müssen die Cheergirls lauter, schöner, jünger und bar jeder Zellulitis sein. Doch die aufreizenden Funkenmariechenkostüme werden uns vorenthalten. „Traditionell tragen Cheergirls Faltenröcke, College-Sweatshirts und glatte Turnschuhe. Das luftige Profi- Outfit findet Irena höchst verwerflich: „Das bestärkt nur das Vorurteil, daß Cheerleader die Teammatratzen der Spieler sind.“

Sind sie aber nicht. „Wir sind Sportler, kein Fanclub.“ Oftmals kennen die Cheergirls die Badboys gar nicht. Schließlich geht es nicht darum, die Spieler anzuheizen, sondern das Publikum. Tatsächlich erfanden Männer das Cheerleaden: 1818 puschelten erstmals die schmächtig gebauten Studenten der Princetown University für ihre bulligen Geschlechtsgenossen. Mit unfeineren Sprüchen, versteht sich: „A, B, C, kick him in the knee!“ Noch heute gibt es in den USA zahlreiche Cheerboys, die meist als Fundamente für Pyramiden dienen.

Ohne Fundamente, aber moralisch gefestigt, üben wir weiter: „Victory ...“. Die ersten Spaziergänger bleiben stehen und feixen. „Guck mal, Fluglotsen.“ „Bürger, laßt das glotzen sein, kommt herunter, reiht euch ein!“ keift es aus der letzten Reihe. Irenas gestrenger Blick gebietet Schweigen. „Cheerleading ist Sport“, insistiert sie. In den USA gar ein Profisport. Mit täglichem Training, Kraftraum, Konditionstraining und einem Jahresgehalt von 100.000 Dollar.“

Tiefe Demut befällt uns. Nun wollen wir keine Weltverbesserer mehr sein, sondern echte amerikanische Anfeuerer. 18 Freiheitsstatuen mit glitzernden Puscheln, Kampfsprüchen, markigen Tänzen und gewaltigen Pyramiden. Fortan schießen Arme energisch in die Höhe, Hände klatschen, um sogleich nach Schuhplattlerart auf Schenkel niederzutrommeln. Bein hoch und hoch und hoch. Und springen: vor, zurück, vor, zurück. Cheerleading ist Sport. „Lauter cheeren!“ Schreisport.

Die Cheers werden vom Headcoach bestimmt. Sie allein muß das Getümmel auf dem Feld verfolgen. Läuft ein hoffnungsvoller Angriff, kommt der „Touchdown-Cheer“. Äußerst peinlich, wenn dieser in Bedrängnis erklingt. Cheers werden ständig neu erfunden und bis zum Einsatz peinlich gehütet, damit feindliche Cheer-Spione sie nicht imitieren. Knallharte Konkurrenz.

Entschlossen packen wir den Puschel am Schopf. „We are the mighty“, brüllen wir, „positive we're gonna rock our team to the victory! Goes!“ Kerzengerade heben sich 18 Fäuste gen Himmel. Ein beeindruckendes Bild, zu beeindruckend. Wir erleiden einen kollektiven Rückfall: Ho, Ho, Ho-Chi-Minh ...

Seufzend nehme ich Abschied von meinem wunderschönen Plastikpuschel. Und weiß: Cheerleader werden nicht gemacht. Cheerleader werden geboren. Aber nur in den USA. Michaela Schießl