Dürftiges Angebot und deftige Preise

Die französischen Eisenbahnen sind an Radtouristen nicht interessiert: Statt sanftem Tourismus per Drahtesel wird die Autoreise propagiert  ■ Von Stefan Matysiak

„Ja, die französischen Eisenbahnen lieben keine Fahrräder“, bestätigt die Dame der SNCF hinter dem Fahrkartenschalter im bretonischen Vannes. Kurz vorher hatte sie mit der Preisangabe die ungläubige Kundschaft geschockt. 150 französische Francs sind auch bei wohlwollendem Wechselkurs mehr als das Dreifache der bundesrepublikanischen Tarife.

Die Aufwendungen für beim Transport beschädigte Drahtesel, erläutert die Eisenbahnerin die abschreckende Preisgestaltung und die stark eingeschränkten Mitnahmemöglichkeiten, seien einfach zu hoch gewesen. Zwar wollen immer mehr Urlauber vom Zweiradsattel herunter ihr Urlaubsland erfahren, besonders jedoch für den Reiseradler, der sein Gefährt im gleichen Zug an den Urlaubsort begleiten möchte, wurde die Bahnfahrt nach Frankreich in den letzten Jahren immer unattraktiver. „Da können wir Ihnen nur abraten“, so das französische Fremdenverkehrsamt. Mit dem Ärger der Radreisenden wuchs gleichzeitig die Zahl der Busunternehmer, die den Fahrrad und Geldbeutel schonenden Transfer über die Grenze übernahmen.

Inzwischen versucht die französische Staatsbahn, mit dem ungeliebten Stahlroß Imagegewinne zu erzielen. Diese Versuche geraten jedoch durchsichtig und halbherzig. Zum grandiosen Werbegag geriet die diesjährige Tour de France, als zwischen zwei Etappen das komplette Fahrerfeld im Hochgeschwindigkeitszug TGV übers Land transportiert wurde. Allein die Fahrer wohlgemerkt, die teuren Rennräder wurden auf der Straße hinterhergebracht.

Auf diese Weise werden mehr und mehr auch die Drahtesel des normalen Urlaubers in die Ferienregionen gebracht. Im Nachbarland, so eine Auskunft der Bundesbahn, würden als Reisegepäck vorausgeschickte Räder per Lkw transportiert. Bis zu 14 Tage Laufzeit entstünden, wenn ab der Grenze dann weitergeschickt würde.

Als PR-Aktion entpuppte sich die Ankündigung vom vergangenen Sommer, auf bestimmten überregionalen Strecken von und nach Paris sei probeweise die Mitnahme und Selbstverladung von Rädern zugelassen. Obwohl über die Fahrrad-Fachpresse angekündigt, blieb das Rätselraten über die neuen Möglichkeiten groß. So manchem Bundesbahner blieb nur das hilflose Seufzen. Die Bundesbahn habe keine Ahnung von der neuen Mitnahme-Aktion des Sommers 1993 und die Reisebüros erst recht nicht, hieß es bei der Generalvertretung der SNCF in Frankfurt lapidar über die Bahn-Kollegen diesseits des Rheins. Was auch kein Wunder ist. Den Reisezentren ging im Vorfeld lediglich ein relativ nichtssagendes Faltblättchen zu, das ungenau von „einigen“ Verbindungen berichtete. Welche Züge Räder mitnehmen sollten, war nicht immer den französischen Kursbüchern zu entnehmen: zur Verbindung Grenoble– Lyon–Nantes samt den Zusteigemöglichkeiten fiel auch der Telefonauskunft der SNCF in Frankfurt/Main nichts mehr ein.

Zwischen den Formen der Betreuung des Pedalisten bei beiden Gesellschaften liegen Welten. Während die Fahrradabteile hiesiger InterRegios meist voll besetzt sind, war wegen der schlechten Ankündigung im EC66 München– Straßburg–Paris selbst in der Hauptreisezeit für Räder noch Platz. Da passiert es dann bei den französischen Kollegen schon mal, daß kein Schlüssel für das Öffnen der großen Ladeluke des Fahrrad- Waggons vorhanden ist.

Welche Erfahrungen die französischen Eisenbahnen mit dem versuchsweisen Radtransport für Selbstverlader gemacht haben, weiß man in der SNCF-Generalvertretung in Frankfurt nicht zu sagen. Auf Anfrage vermutete man dort jedoch, daß das Angebot im nächsten Sommer „beibehalten, wenn nicht gar ausgeweitet“ wird.

„Mehr als Fahrräder lieben die französischen Eisenbahnen das Geld“, erläutert eine SNCF-Bahnerin die unökologische verkehrspolitische Ausgestaltung der Fahrpläne und Transporttarife. Das bisherige konsequente Abwürgen von „Schiene & Felge“ erscheint als betriebswirtschaftliche Notwendigkeit, der wohl zukünftig auch eine private deutsche Bahnaktiengesellschaft folgen wird. Dann dürfte auch hierzulande das Streckennetz vermehrt Lücken aufweisen (schon heute ist die Mitnahme auf der Nord-Süd-Magistrale auf dem Teilstück zwischen Kassel, Fulda und Frankfurt problematisch) und die niedrigen Fernverkehrstarife für Räder den tatsächlichen Kosten angeglichen werden.

Während der Drahtesel hierzulande ein Frühlingserwachen erfuhr, steht dies im Nachbarland noch bevor. Das Fahrrad gilt Jung wie Alt mehr als Sportartikel denn als Verkehrsmittel. Nur der Aktivität symbolisierende Auftritt in neonfarbenen Rennanzügen oder aber die motorisierte Fortbewegung sind gesellschaftlich akzeptiert. Alles andere steht nicht im Geruch von sportif oder modern.

So verkauft sich zwar die Bretagne als Naturerlebnis, zu dem sportliche Betätigung an frischer Luft gehört. Wer sein Rad jedoch nicht schon Wochen vorher den anerkannt rabiaten Eisenbahnern anvertrauen oder die frische Luft nicht mit dem Auto erreichen möchte, sieht im wahrsten Sinne des Wortes alt aus, wenn er samt selbstverladenem Rad im Land der Hinkelsteine ankommt.

Nachmittags fährt der die Radmitnahme ermöglichende EuroCity in Paris ein. Erst am folgenden Morgen gehts jedoch weiter. In der Ost-Bretagne ist man schließlich am nächsten Abend, nicht ohne drei weitere Male umgestiegen zu sein. Möchte man mit den meist vorherrschenden Winden im Westen der Region starten (auch aus touristischen Gründen zu empfehlen), ist am dritten Reisetag weitere zweimal der Zug zu wechseln. Anstatt hier tourismusdienlichen Druck auf die Bahn auszuüben, empfehlen die staatlichen Reiseförderer der einzelnen Urlaubsregionen lieber das Leihrad. Ein journalistischer Selbstversuch führte bei einem Mindestpreis von 25 DM pro Tag für Schrottmodelle mit Alptraumbremse, ausgenudelten Tretlagern etc. zu Schwielen am Hintern. Allein das Zauberwort „Fünfgangschaltung“ ist inzwischen jedem Fahrradverleih Grund genug für saftige Mietgebühren. Eine Alternative zum eigenen Rad besteht so faktisch nicht.

Für 1994 versprechen die Fährgesellschaften in Richtung der englischen Hinkelstein-Alternative „Stonehenge“ wegen des neuen Eurotunnels Kampfpreise, und als fahrradfreundliches Urlaubsland ist Österreich noch immer ungeschlagen.