Betr.: Siegfried Kracauer in der "Frankfurter Zeitung" vom 23. Juli 1930

Es ist kaum bekannt, daß Siegfried Kracauer in der „Frankfurter Zeitung“ nicht nur als Filmkritiker, Literaturkritiker und Essayist, sondern auch gelegentlich als Architekturkritiker hervorgetreten ist. Noch weniger bekannt ist sein früheres Wirken als Architekt. Und vollends unbekannt ist ein Monument dieser Tätigkeit, der Frankfurter Soldatenfriedhof, nach Kracauers Entwürfen von 1916 erbaut. Es sprach also ein Erfahrener, als Kracauer 1930 den Wettbewerb für die Umgestaltung von Schinkels Neuer Wache zum Berliner Ehrenmal rezensierte. Seine Argumente für Tessenow mögen ästhetisch einer Sachlichkeit verpflichtet sein, die heute alles andere als „neu“ erscheint. Was Kracauer aber über die Schwierigkeit politischer Symbolik in konsenslosen Zeiten zu sagen hat, verdiente heute überdacht zu werden.

„Ich möchte [...] die allgemeine Bemerkung vorausschicken, daß die Aufgabe eines Ehrenmals in unserer gegenwärtigen Situation kaum zu bewältigen ist. Gewiß, man kann pathetische Denkmäler aufrichten und die ihnen zugeschriebene Bedeutung durch irgendwelche Sinnbilder unterstützen – aber hatten wir nicht an unseren Bismarcktürmen genug? Es ist nun einmal so: die positive Aussage ist uns zur Zeit nahezu völlig verwehrt. Weder ertragen wir sie in der literarischen Sprache noch in der Sprache der Architektur. Daß die modernen Kirchen wie Getreidesilos oder wie Bahnhöfe aussehen, ist sicher kein Zufall, und ebenso ist durchaus in der Ordnung, daß gerade die reinen Zweckbauten, die nur der nüchternen Praxis dienen, noch am ehesten den Eindruck zweckfreier Gestaltungen erwecken. Sie sind die einzigen echten Monumente der Zeit. Woher das rührt? In Deutschland unter allen Umständen daher, daß wir in bezug auf die wichtigsten Lebensverhältnisse viel zu uneins sind, um uns in einer Erkenntnis, die alle verbände, wieder zu finden. Sie wäre nicht wirklich für uns. Sie mag erstrebt werden, aber sie ist nicht vorhanden. Nur um eine Notlösung kann es sich also bei dem Ehrenmal handeln. Nicht die beflissene Darstellung seines Gehalts ist geboten – was wissen die meisten Menschen heute vom Tod? –, sondern die äußerste Enthaltsamkeit ihm gegenüber. Eine Gedächtnisstätte für die Gefallen im Weltkrieg: sie darf, wenn wir ehrlich sein wollen, nicht viel mehr als ein leerer Raum sein. Das eben ist der Anstand des Tessenowschen Entwurfs, daß er nur geben möchte, was wir besitzen. [...] Sonst fehlt es der Halle ganz an Symbolen und Ornamenten. [...] Das ist nicht viel, das ist sogar sehr wenig; aber es ist in Anbetracht unseres augenblicklichen Wirtschafts- und Geisteslebens gerade genug. Die gute Bescheidenheit Tessenows hat den Schmuggel mit metaphysischer Kontrebande zu vermeiden gewußt und sich auf die würdige Proportionierung des Gedächtnisortes beschränkt. Seine Komposition ist vielleicht zu zart, zu empfindungsselig für den Zweck, den sie zu erfüllen hat. Doch immer noch besser die lautere Privatheit, die sich erlogene Gefühle verkneift, als eine hohl dröhnende Objektivität ohne individuellen Einsatz.“

Siegfried Kracauer in der „Frankfurter Zeitung“ vom 23. Juli 1930.

Das Foto entnehmen wir der

höchst empfehlenswerten neuen

Nummer der Zeitschrift

„Daidalos“: „Denkmal/

Monument“ (Nr. 49, 15. 9. 1993;

Bertelsmann Fachzeitschriften).